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Rote Spur

Rote Spur

Titel: Rote Spur
Autoren: Deon Meyer
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noch Leute oder Mittel benötigen, wenden Sie sich an mich. |25| Tau, verdoppeln Sie die Observation. Ich will einen Ersatz für Ismail, ich will wöchentliche Berichte über unsere Fortschritte, ich will Konzentration und Einsatzbereitschaft. Danke, dass Sie heute früher gekommen sind.«
     
    Sie holte zwei weitere Taschen und dann den Schlafsack und die Luftmatratze aus ihrem weißen Renault Clio, den sie draußen am Straßenrand geparkt hatte. Was wohl zufällige Beobachter denken mochten, wenn sie sie sahen: eine Frau um die vierzig, die allein hier einzog. Dazu brütete in ihr diese vage, undefinierbare Angst wie ein dösendes Krokodil unter der Wasseroberfläche.
    Sie räumte ihre Kleider in die Einbauschränke aus billigem weißen Melamin. Im Spiegelschrank über dem Waschbecken im Badezimmer war nicht genug Platz für ihre Kosmetika. Als sie die Tür zuklappte, fiel ihr Blick auf ihr Spiegelbild, und sie erkannte sich kaum wieder. Schwarze, halblange Haare ohne vernünftigen Schnitt, graumelierter Ansatz, der dringend nachgefärbt werden musste. Olivfarbene, mediterrane Haut, Krähenfüße in den Augenwinkeln, tiefe Nasolabialfalten, ungeschminkt, leblos, müde. Es war ein Schock. Mein Gott, Milla, hast du dich gehen lassen, kein Wunder, welcher Mann würde schon bei dir bleiben wollen?
    Sie drehte sich hastig weg, denn als Nächstes wollte sie die Matratze aufblasen.
    Im Schlafzimmer setzte sie sich auf den Boden, rollte die Matratze aus und setzte das Ventil an die Lippen. Pustete. Worte gingen ihr durch den Kopf. Wie immer viel zu viele.
    Einige würde sie heute Abend in ihr Tagebuch schreiben:
Ich bin hier, weil die Frau im Spiegel versagt hat, Tag für Tag. Als hielte ich ein Seil in den Händen, an dessen anderem Ende ein Gewicht in einen Abgrund hinunterhängt, gerade schwer genug, um mir nach und nach durch die Finger zu rutschen, bis mir das Ende entschlüpft. Die Ursache, so weiß ich inzwischen, liegt ausschließlich bei mir. In der Beschaffenheit meines Körpers, in der Struktur
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meiner DNS. So erschaffen, nie verändert. Unfähig. Unfähig trotz meiner angestrengten Versuche und guten Vorsätze. Unfähig wegen meiner Versuche und Vorsätze. Eine inhärente, unentrinnbare, vollkommene, frustrierende, jämmerliche Unfähigkeit: Ich kann diesem Mann keine gute Frau sein. Ich kann diesem Kind keine gute Mutter sein. Höchstwahrscheinlich würde ich für niemanden eine gute Frau abgeben, ja, bin ich ganz allgemein unfähig, eine gute Ehefrau und Mutter zu sein.
    Das Handy in ihrer Handtasche klingelte. Vorsichtig und ohne Eile drückte sie den Verschluss in das Ventil, denn sie vermutete, dass es Christo war. Ihr Exmann. In jeder Hinsicht.
    Er hatte den Umschlag erhalten.
    Sie holte das Handy aus ihrer Handtasche und warf einen Blick auf das Display. Christos Firmennummer.
    Wahrscheinlich saß er in seinem Büro, ihren Brief auf dem Schreibtisch vor sich, dazu die Unterlagen ihres Anwalts, die sie am Samstag rasch aufgesetzt hatten. Vorher hatte er sicher die Tür geschlossen, mit einem wütenden Gesichtsausdruck in der Variante: Du-blödes-armseliges-dämliches-Weib! Demütigende Beschimpfungen mussten sich in ihm aufgestaut haben. Wenn sie jetzt dranginge, würde er mit einem »Mein Gott, Milla!« beginnen und dann alle Schleusen öffnen.
    Mit klopfendem Herzen und zittrigen Händen starrte sie die Nummer an. Sie ließ die Hand mit dem Handy sinken und verstaute es wieder in der Handtasche. Unheilvoll leuchtete das Display in der dunklen Öffnung.
    Endlich verstummte das Klingeln, und die Mailbox schaltete sich ein. Das Licht erlosch. Sie wusste, dass er ihr eine Nachricht hinterließe. Gespickt mit Flüchen.
    Sie wandte sich von der Tasche ab und fasste einen Entschluss: Sie würde sich eine neue Nummer zulegen.
    Noch ehe sie sich wieder neben die Matratze setzte, ertönte das Signal, dass sie eine neue Nachricht erhalten habe.
     
    |27| (5. August 2009. Mittwoch.)
    Am späten Nachmittag wurde der Ardo-Kühlschrank geliefert. Nachdem die Männer gegangen waren, stellte sich Milla davor und lauschte dem beruhigenden Brummen, betrachtete das wuchtige Gerät und fand, es böte ihr irgendwie Halt. Die erste klobige Barrikade gegen die Rückkehr, gegen den Untergang, gegen die Angst vor einer ungewissen Zukunft. Dazu kam eine ganz neue Sorge, nämlich um Geld. Ein Bett, ein Sofa, ein Tisch, Stühle, ein Schreibtisch, Gardinen, alles war bestellt und würde ein kleines Vermögen kosten.
    Ihr
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