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Rote Spur

Rote Spur

Titel: Rote Spur
Autoren: Deon Meyer
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Notgroschen, ihr bescheidenes Erbe, war beträchtlich geschrumpft.
    Sie würde eine Arbeit finden müssen. Dringend. Weil sie Geld brauchte. Aber auch, weil sie frei sein wollte.

4
    (6. August 2009. Donnerstag.)
    Morgens fuhr sie gegen zehn Uhr zurück nach Durbanville, weil sie wusste, dass um diese Zeit niemand zu Hause sein würde. Sie wollte den Schlafsack und die Luftmatratze in die Garage bringen, weil sie Christo gehörten, und ihre Schlüssel endgültig zurücklassen.
    Herta Ernastraat.
    Christo hatte sie ausgelacht, als sie gesagt hatte, sie wolle nicht in einer Straße dieses Namens wohnen.
    Er arbeitete mit Zahlen und hatte ihre Beziehung zu Worten nie verstanden. Ihm war unbegreiflich, dass Worte Rhythmus, Gefühl und Dynamik besaßen. Dass die Art, wie Mund und Zunge sie formten, untrennbar mit ihrem Klang, ihrer Bedeutung und den Gefühlen, die sie auslösten, verbunden war.
    Die Lombards aus der Herta Ernastraat. Beim Einzug war es ihr kalt den Rücken hinuntergelaufen.
     
    |28| Sie wartete ungeduldig, während das Eingangstor langsam aufschwang. Hinter den Garagen ragte das große, zweistöckige Haus empor. Ein Architekt hatte den Baustil in einer Zeitschrift als »Bauunternehmers Sahneschnittchen« bezeichnet. »Man könnte auch sagen: transvaal-toskanisch. Mit etwas Wohlwollen vielleicht: Vorstadtmoderne.«
    Sie hatten es damals zusammen besichtigt. Zwei Monate lang hatten sie in dieser Gegend etwas gesucht, denn Christo wollte auf Biegen und Brechen hierherziehen. Aus dem einzigen Grund: »Weil wir es uns leisten können.« Was im Grunde bedeutete: Wir sind jetzt zu wohlhabend für Stellenberg.
    Ein Durbanville-Haus nach dem anderen. Sie hatte sie gewogen und für zu leicht befunden. Luxuriöse, kalte, unpersönliche Behausungen. Und nicht eines enthielt Bücherregale. Daran erinnerte sie sich am deutlichsten, all diese reichen Weißen, aber nicht ein Buch im Haus. Bars, ja, wuchtige, teure Monstrositäten aus Holz, ob aus alten Eisenbahnschwellen oder poliertem hellem Weichholz im Schwedenstil, die indirekte Beleuchtung oft mit peinlicher Sorgfalt, fachmännisch und teuer installiert. Auf Knopfdruck erwachte, erschien, erstrahlte vor einem: ein heiliger Ort, eine Kathedrale des Alkohols.
    Dann hatten sie dieses Haus gesehen, und Christo erklärte: »Das hier will ich haben.« Denn es sah nach Reichtum aus. Sie hatte sich dagegen gewehrt, gegen diesen ganzen Ort, auch gegen den Straßennamen. Er hatte alles lachend abgetan und den Vertrag unterzeichnet.
    Milla fuhr die Auffahrt hinauf bis vor die drei Garagentore. Eine Garage war für Christos Audi Q7, eine für ihren Renault und eine für Christos Spielsachen bestimmt.
    Sie betätigte die Fernbedienung, und das Garagentür öffnete sich. Sie nahm den Schlafsack und die Luftmatratze, beide ordentlich aufgerollt, stieg aus und betrat die Garage.
    Der Platz des Q7 war leer.
    Ein Glück.
    Hastig ging sie nach hinten durch, wo Christo seine Sachen |29| akribisch geordnet aufbewahrte, und legte das Bettzeug zurück an seinen Platz. Sie hielt inne. Die Tür links von ihr führte ins Haus. Sie wusste, dass sie nicht hindurchtreten durfte. Sie würde Barends vertrauten Geruch wahrnehmen. Sie würde sehen, wie sie jetzt lebten. Sie würde die Schwerkraft ihres hiesigen Lebens spüren.
    Hunde kläfften in der Straße. Die schwere Hand der Depression legte sich auf ihre Schulter.
    In diesem Viertel bellten tagsüber unaufhörlich die Hunde. Dogville. So hatte sie Durbanville bezeichnet, als sie es eines Tages wieder einmal gewagt hatte, sich Christo gegenüber zu beklagen.
    »Mein Gott, Milla, musst du denn an allem herummeckern?«
    Hastig verließ sie die Garage und kehrte zu ihrem Auto zurück.
     
    Vor dem Palm Grove Centre im Zentrum von Durbanville bog sie in den nächstbesten freien Parkplatz ein, in der Absicht, sich bei Woolworth etwas zum Mittagessen zu kaufen. Als sie ausstieg, fiel ihr Blick auf das Aushängeschild von Arthur Murrays Tanzstudio, ganz kurz nur. Sie hatte ganz vergessen, dass es das hier gab – noch ein Beweis für die Blase, in der sie gelebt hatte. Beim Betreten des Supermarktes nahm sie den Duft der Blumen wahr und betrachtete die leuchtenden Farben, als sähe sie sie zum ersten Mal. Sie dachte an die Worte, die sie gestern Abend in ihr Tagebuch geschrieben hatte.
Wie kann ich wieder die werden, die ich war, v. Chr.? (vor Christo)
    Zurück bei ihrem Renault blickte sie wieder zu dem Aushängeschild auf.
    Tanzen. Christo hatte
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