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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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einen Menschen auflehnte, der schließlich zu ihr kam, um Hilfe zu finden. Zwei, drei Mal war es ihr mit Borderlinern so gegangen, öfter nicht.
    Normalerweise lächelte sie ihre Patienten, wenn sie sie zum ersten Mal sah, verbindlich an. Sie war interessiert an ihnen und ihren Problemen, sie therapierte gerne. Aber die hier, die konnte sie einfach nicht anlächeln. Sie hatte nicht das Bedürfnis, hinter die Probleme dieser Person zu steigen.
    Die kommt direkt aus einer Bar oder ist auf dem Weg dorthin. Wie kann man sich dermaßen auftakeln, um zur Psychotherapie zu gehen?, dachte Helene. Größe 34, vielleicht 32. Ob sie diese Sonnenbrille jemals von der Stirn nimmt? Aber keine langen Fingernägel, wenigstens etwas. Wahrscheinlich gerade heute alle abgebrochen. Oder sie kaut darauf herum, während sie beim Friseur sitzt … Ganz ruhig, redete Helene sich zu, durchatmen! Wer bin ich, dass ich mich so von Äußerlichkeiten beeindrucken lasse? Aber ich habe auch meine Grenzen. Das ist genau der Typ Frau, mit dem Männer ihre Frauen betrügen. Herrmann hat sich auch an so was delektiert,bestimmt. Dieser Typ Frau ist es. Nein, danke. Nicht bei mir. Was mag sie für ein Problem haben? Kann doch gar nicht sein.
    Helene forderte sich abermals streng auf, sich zusammenzureißen, und widmete sich nunmehr auch offiziell Marie. Nach einer sehr steifen, förmlichen Begrüßung, die sofort das auf Gegenseitigkeit beruhende Misstrauen und Missfallen erkennen ließ, zögerte Helene nicht lange, die Weichen für eine baldige Verabschiedung zu stellen. Auf die erste, vielleicht etwas zu forsch und zu übereilt gestellte Frage, warum sie hier sei, hatte die neue Patientin nur mit »Ähm …« geantwortet und dann den Blick zum Fenster gewandt. Sie schwieg.
    Etwas musste Helene nun aber doch sagen. Dass in der Psychotherapie geschwiegen wurde, war nicht ungewöhnlich, jedoch nicht gleich in den ersten fünf Minuten. »Wir werden herausfinden, warum Sie hier sind. Möglicherweise sind Sie hier gar nicht richtig. Es gibt ja so viele verschiedene Therapiearten. Eventuell benötigen Sie eine Familienberatung, eine Eheberatung, eine Gruppentherapie. Das wird sich sicher schnell herausstellen.«
    Minuten vergingen, in denen Marie mit eingefrorenem Gesicht das Fenster betrachtete, vielleicht auch den Ahorn im Hof. Die will mich nicht, dachte sie. Das war klar. Niemand will mich. Nur die Scheißkatze. Sie schaut mich an und glaubt, bereits Bescheid zu wissen. Ich hab’s geahnt. Zur Psychotherapie geht man ganz anders angezogen. Sie ist neidisch, weil ich so schlank bin und sie nicht. Und weil ich hohe Schuhe anhabe und sie nicht. Wenn sie wüsste, wie ich sie in Nullkommanichts gecheckt habe. Sie ist eine böse Hexe mit unrasierten Beinen. Ich gehe wieder. Nein. Ich muss Luft holen. Vielleicht hat sie das ja gar nicht so gemeint, sie istimmerhin ein Profi. Doch, hat sie. Sie denkt, ich bräuchte einen Töpferkurs. Und dass ich »Bunte« lese.
    »Na ja, dann – kann ich ja wieder gehen. Vielleicht bin hier wirklich nicht richtig.«
    Marie wollte schon aufstehen, doch eine klitzekleine Regung im Gesicht dieser Psychotherapeutin ließ sie sitzen bleiben und weiter aus dem Fenster sehen.
    Na, na, nun mal nicht so hastig, dachte Helene, das festzustellen überlass mal schön mir. Dieses Kunstblond …
    »Vielleicht erzählen Sie mir, wie Sie im Moment leben. Was Sie machen. Von Ihrer Familie. Wo wohnen Sie? Was arbeiten Sie?«
    Sie arbeitet nicht. Hat Kosmetikerin gelernt und faulenzt jetzt. Sieht aus dem Fenster. Na, soll sie. So kriegt man die Zeit auch herum. Herrgott, Helene, jetzt mach mal halblang. Nimm sie wie jeden anderen, der hierherkommt. Wenn ich mir nur vorstelle, wie Herrmann mit so einem Gerät … während ich zu Hause den Kindern Schlaflieder vorgesungen habe.
    Marie bockte. Sie hatte sich auf etwas eingelassen, das nicht ihre Idee gewesen war. Und nun war sie hier und sollte sich rechtfertigen. Warum fragen einen die Leute immer gleich, was man arbeitet? Immer das Gleiche, als ob es im Leben nichts anderes als Arbeit gäbe. Ist denn das alles entscheidende Kriterium, was ein Mensch arbeitet? Was, wenn ich jetzt ›nichts‹ antworte. Oder sage, ich sei Atomphysikerin, Kükensortiererin oder Politesse oder Kindergartenleiterin. Was dann wohl? Von mir erfährt sie nichts. Ich lasse sie auflaufen. Ich sehe einfach aus dem Fenster und tue so, als ob ich sie ernst nehme. Sie ist nur neidisch, weil ich so schlank bin und sie nicht. So
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