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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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nicht unter eineinhalb Flaschen Wein ins Bett und morgens nie aus selbigem herauskam. Da konnte sie auch beim besten Willen wenig Rechtfertigendes vorbringen. Sie wollte wenigstens so tun, als bemühe sie sich.
    Vierzehn Stunden, davon vier Überstunden, Grundgagefünfundfünfzig Euro, jede Überstunde fünf Euro. Fünfundsiebzig Euro für vierzehn Stunden. Ihr fiel Günter Wallraff ein. Der Wochenendeinkauf war gesichert. Oder 3,75 Cocktails, aber dann müssten die Kinder aufs Essen verzichten, was, dachte Marie, nun auch nicht so dramatisch wäre, da sie unterernährt gerade nicht waren. Die Entscheidung würde sie auf dem Heimweg im Taxi fällen, wenn klar war, wie viel von den fünfundsiebzig Euro der halsabschneiderische Taxifahrer ihr ließe.

2
    Marie geht zu ihrer ersten und ein für allemal
    letzten Psychotherapiesitzung
    Hastig kramte Marie den Autoschlüssel aus ihrer Handtasche, während Martin ihr bereits die Tür zum Einsteigen aufhielt.
    »Adieu, meine Geliebte, mach’s Beste draus«, sagte er und strich ihr über die Hüfte.
    »Du hast gut reden. Du bist ja nicht irre. Seh ich gut aus?«
    »Ich glaube nicht, dass das deine Psychotherapeutin beeindrucken wird, aber wenn es dich beruhigt: du siehst formidabel aus.«
    »Nicht irgendwie zu sexy? Vielleicht sollte ich doch lieber die schwarzen Hosen und flache Schuhe … «
    »In schwarzen Hosen siehst du noch schärfer aus. Es ist zehn vor.«
    »Du bist ein Schwein, du denkst immer nur an Sex. Das werde ich alles erzählen.«
    »Mach das. Du musst los.«
    »Und seid ja pünktlich beim Klavierunterricht. Ach so, Pasi soll heute Grieg mitbringen. Vergesst das nicht. Oh, Gott, ich hab die falsche Kette um! Das gibt’s ja nicht!«
    Nach zwei Minuten war Marie wieder da. »Und wenn du Brütti vom Kindergarten abholst, frag die Weibsen noch mal wegen der neuen Gruppe. Und wehe, der hat heute wieder einen Sonnenbrand. Dann töte ich sie. Den Freibrief hole ich mir jetzt. Halb vier, denk dran, die machen heute früher Schluss.«
    »Fahr jetzt.« Martin stand immer noch am Wagen und hielt die Tür auf, während seine Frau sich in der Auffahrt umsah, als ginge sie auf eine lange Reise.
    »Kannst du den Sandkasten abdecken?«, fiel ihr noch ein. »Die Saukatze, das ekelhafte Ding, kackt da sonst wieder rein. War das widerlich gestern mit Brütti und seinem Sandkuchen!«
    »Schatz, ich werde die Katze erschießen und teeren und federn, wenn es dir hilft. Aber bitte fahre jetzt los.«
    Marie machte keine Anstalten, ins Auto zu steigen. »Weißt du was, ich bleibe hier. Das war eine Scheißidee von dir mit der Psychotherapie. Ich bin ja nicht geistesgestört.«
    »Doch, bist du, was man allein schon daran erkennt, dass du glaubst, es nicht zu sein. Jetzt startest du den Wagen, sonst lasse ich mich scheiden.«
    »Das würdest du tun, ja? Dich von einer Geistesgestörten scheiden lassen, obwohl sie doch auf deine Hilfe angewiesen ist?«
    »Nein.«
    »Schlappschwanz!« Sie lachte, stieg ein und startete den Wagen.
    Das da ist hoffentlich nicht meine neue Patientin, dachte Helene, das gut gelaunte Püppchen musternd, das vor ihr stand. Sie war von einer befreundeten Ärztin, die nicht mehr therapierte, überwiesen worden. Das Ganze war über Beziehungen gelaufen – normalerweise hätte Helene überhaupt keine Vakanzen mehr gehabt. Wollte die Kollegin sie auf den Arm nehmen? Helene konnte sich in jedermann hineinversetzen und tat dies auch gerne. Alte, Junge, Vergewaltiger, Vergewaltigte, Mörder, Pädophile, abtrünnig gewordene Hell’s Angels, Nutten, aber auch ganz normale Frauen und Männer, die Schmerzen zu bewältigen hatten: Für alle hatte sie mehr alsnur ein Ohr, sie verstand, sie grub und fand, bog zurecht, räumte auf, therapierte, und alle fraßen ihr aus der Hand. Sie waren alle nur Menschen, und dieses Verständnis strahlte Helene aus. Waren ihre Taten manchmal schlimm und widerwärtig – sie selbst waren es oft nicht.
    Aber es gab einen Typus, den Helene meiden musste, mit dem sie einfach nicht zurechtkommen wollte. Es war der Typ Frau, der immer Geld hatte, auch ohne zu arbeiten, Liebhaber, keine Figurprobleme und dreißig Freundinnen zum Tratschen. Der Typ Frau, dem es immer glänzend ging und der trotzdem immer was zu jammern fand. Zum Abendessen eine Weintraube, sonst nichts. Ungebildet, ohne Interessen, talentfrei, egozentrisch und stets leuchtend. Es kam so gut wie nie vor, dass ihr Innerstes die Therapeutin in ihr beiseiteschob und sich gegen
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