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Rosen für Apoll

Rosen für Apoll

Titel: Rosen für Apoll
Autoren: Joachim Fernau
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eine Ruine, die mykenische Kultur versunken und eine neue Epoche aufgegangen war.
    Es ist Homer. Die Zeit, in der seine Ilias spielt, ist die Zeit Mykenes, die »heroische Zeit«, die »alte Zeit«, die Epoche von ijoo bis 1100. Was die lange Kette der Generationen von Mund zu Mund weitergegeben hatte, das fügte er sinnvoll aufeinander und formte es zu einem großen Heldenepos. Wir haben lange gedacht, es seien Märchen. Es waren keine. Wir dachten es, weil sich die Griechen Homers so sagenhaft benehmen. Aber die Griechen haben sich ihr Leben lang sagenhaft benommen.



... berichtet von der Ilias und der Odyssee, der »Bibel« der Griechen. Nach gründlichem Abstauben kommt unter der hundertjährigen Philologenschicht das pure Gold der Dichtung hervor. Wer Homer nun noch nicht liebt, der war in seinem Leben nie Hagen von Tronje und nie Old Shatterhand.

Wenn in den flauen Sommermonaten unsere nimmermüden Zeitungen ihre berühmte Umfrage abhalten, welche drei Bücher man, auf eine einsame Insel verschlagen, um sich haben möchte, so lautet das Resultat immer: die Bibel, Homer und — jetzt folgt ein möglichst abwegiges Werk, das von der feinsinnigen Individualität des Befragten zeugt.
    Die Bibel ist obligatorisch; Homer ist der Ausweis der Bildung. Man preist die herrlichen Verse, ohne die man schier nicht mehr auskommen kann, die hohe Ethik, die einem gar oft einen Halt gegeben hat, und die wunderbare Anschaulichkeit der Schilderung, zum Beispiel der Eroberung Trojas in der Ilias. Nun schildert aber Homer in der Ilias gar nicht die Eroberung Trojas; so weit ist er nicht mehr gekommen; und die Verse sind Hexameter, einfache Hexameter, reimlose, rhythmische Zeilen, 27 000 Stück.
    Ich will Ihnen sagen, welche drei Bücher die meisten Menschen in Wahrheit auf der einsamen Insel bei sich haben möchten: einen Radioapparat, ein Motorboot und eine Kiste Zigaretten.
    Nur wer heute noch Shakespeare lesen und einen ganzen Saal voll Rubens sehen kann, versteht auch Homer. Nur wem das gewaltige Grollen König Lears ein ebenso dröhnendes Theatergrollen in der eigenen Brust erweckt, nur wem sich vor der Amazonenschlacht des großen Flunkerers Rubens noch vor Spannung die Schultern zusammenziehen, nur wem — aus dem Museum oder dem Theater kommend — die Welt nur fade und tuntig erscheint, nur wem wenigstens 60 Sekunden lang die Gewißheit kommt, daß eben doch die Sonne um die Erde kreist und nicht umgekehrt — der wird Homer verstehen.
    Wenn Sie erlauben, erzähle ich Ihnen jetzt den Inhalt von Ilias und Odyssee, in der Reihenfolge, in der Homer von den Ereignissen berichtet.
    Die Ilias (sie führt ihre Bezeichnung nach dem Wort Ilion, dem zweiten, ebenso gebräuchlichen Namen der kleinasiatischen Stadt Troja) — die Ilias beginnt wörtlich folgendermaßen:

    Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus,
    ihn, der entbrannt den Achäern unnennbaren Jammer erregte
    und viele tapfere Seelen der Heldensöhne zum Hades
    sendete, aber sie selbst zum Raub den Hunden hinlegte
    und den Vögeln umher; so ward Zeus’ Wille vollendet:
    Seit dem Tag, als erst durch bitteren Zank sich entzweiten
    Atreus’ Sohn, der Herrscher des Volks, und der edle Achilleus.

    Verstehen Sie ein Wort? Achilleus ist Achill, Peleiade bedeutet Sohn des Peleus, mit Achäern sind die Griechen gemeint, Hades ist die Unterwelt der Toten, Zeus ist der oberste Gott, Atreus’ Sohn ist entweder Agamemnon oder Menelaos, er hatte zwei. Aber verstehen Sie ein Wort?
    Und dennoch ist bereits der Anfang der Ilias herrlich. Sie brauchen nur zu wissen, wer Achill ist; er ist der Strahlende, der Silbergepanzerte, der Herrlichste von allen, der Siegfried der Griechen; und dieser leuchtende junge Held ist von rasendem Zorn erfüllt: das genügt. Das ist für jeden Griechen alarmierend, das ist eine Wonne! Zorn, Wut, Krach, Unrecht, Empörung, Worte hin Worte her, ein Speerwurf, Apoll läuft aus dem Olymp von der einen Seite herbei, Pallas Athene, die schwerbewaffnete jungfräuliche Göttin, klirrt von der anderen Seite heran — das ist für den Griechen ein Genuß wie für uns ein aus dem Fenster beobachteter knallender Verkehrsunfall mit schwerem Blechschaden. Dafür erbittet Homer von der Muse die rechten Worte. Das können wir nachfühlen.
    Die Muse hilft ihm auch sofort; sie verhindert, daß er uns langatmig erklärt, wo wir uns befinden und wer gegen wen kämpft (denn das weiß in Griechenland jedes Kind: Seit zehn Jahren liegen die Griechen, ein Heer von
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