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Rosen für Apoll

Rosen für Apoll

Titel: Rosen für Apoll
Autoren: Joachim Fernau
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Knossos dabei gedacht haben, ist schleierhaft.
    Die ganze Sache scheint anfangs harmlos ausgesehen zu haben. Die Urbevölkerung, die sogenannten Pelasger oder Karer, waren Hirten und Bauern gewesen, sicher harmlos, auf jeden Fall arm. Die Griechen werden zunächst auch keine großen Sprünge gemacht haben, die Schuhsohlen waren durchgelaufen, die Helden der Landstraße waren müde, denn von der Donau bis zum Peloponnes ist ein weiter Weg. Nun waren sie am Ziel; aus dem einfachen Grunde, weil der Weg hier zu Ende war. Das Meer erglänzte ringsum; um jede Ecke des buchtenreichen, zerklüfteten Landes erglänzte es aufs neue. Nach altem Landserbrauch werden sie sich gesagt haben, daß sich alles finden würde, wenn man erst einmal abgekocht und dann ausgeschlafen habe.
    Es fand sich.
    Es fand sich, daß sie den Ureinwohnern in einem Punkte hoch überlegen waren: Sie besaßen Führer, starke, umsichtige, rücksichtslose Führer, wie sie sich auf einer Völkerwanderung herausbilden, denn Reisen bildet, unter anderem solche Eigenschaften. Diese harten Männer waren fest entschlossen, ihre Stellung zu behalten, und sie behielten sie. Sie waren eine Art Merowinger. Wie viele es von dieser Sorte gegeben hat, wissen wir nicht, sicherlich ein Dutzend; auf Mykene saß einer, auf dem nur wenige Kilometer entfernten Tiryns schon der nächste, an der Küste auf Nauplia der dritte, auf Amyklai (nahe dem späteren Sparta) der vierte. Im Norden hauste damals schon einer auf der athenischen Akropolis; einer auf Kadmeia, der alten Burg Thebens; ein anderer auf der Festung Orchomenos in Böotien; wieder einer, nicht weit entfernt, auf Arne, mitten in dem jetzt nicht mehr existierenden Kopeissee. Nicht von heute auf morgen, aber im Laufe weniger Generationen waren aus den ersten kleinen düsteren, verräucherten Schutzhütten Burgen und aus ihren Besitzern, jenen Eindringlingen, jenen Griechen, Fürsten geworden. Der beherrschende Mann im Norden saß offenbar in Orchomenos; der mächtigste im Süden war der Mykener.
    Allmählich lernten sie das Meer lieben. Sie merkten, daß das Wasser für jemand, der ein Schiff besaß, nicht ein Hindernis, sondern die reinste Autobahn war. Vom Meer her erschienen auch die interessanten Fremden, die sich Kreter nannten. Die griechischen Herren staunten über die schönen Schiffe, die da angesegelt kamen, und über die Waren, die sie mitführten. Denn selbstverständlich waren es Vertreter, die die Autobahn bevölkerten. Und was sie über ihre Heimat Kreta berichteten, fanden die Griechen ausgesprochen bemerkenswert. In Knossos wiederum ließ man sich genau Bericht erstatten, wie es bei diesen griechischen Barbaren aussah, natürlich nicht, wie dick die Mauern von Mykene oder Tiryns waren (sechs Meter!), sondern was man dort loswerden könnte; denn was ein richtiger Wohlstandsstaat ist, der meistert das Leben mit Ex- und Import. Hier bot sich nun mal ein schönes, unterentwickeltes Land! Da lachte das brave Kaufmannsherz, und die Dividenden stiegen.
    Eines Tages aber erinnerten sich die Mykener des Leonardo-da-Vinci-Wortes: »Wer zur Quelle gehen kann, gehe nicht zum Wasserkrug.« Sie setzten also nach Kreta über; im Laufe der Zeit sicherlich mehrmals, aber einmal, 1400, gründlich.
    Das ist plausibel.
    Ist es das?
    Ich finde, nein. Wie überhaupt bei diesem Volke selten einmal etwas plausibel ist. Natürlich war nicht zu erwarten, daß sie den Frieden liebten, denn sie waren leider keine Christen, sondern Heiden. Aber normal wäre gewesen, daß sie sich in Kreta festgesetzt hätten. Man weiß doch, daß man als Besatzungsmacht besser lebt denn als heimgekehrter Held. Die Griechen wählten eine andere Möglichkeit. Sie zerstörten die Hauptstädte Kretas bis auf den Grund, töteten (wahrscheinlich) die Mehrzahl der Männer oder jagten sie in die Berge, nahmen alles, was nicht niet- und nagelfest war, mit und segelten dann mit ihren und den kretischen Schiffen zurück in die Heimat. Das Problem ihres unterentwickelten Landes war gelöst.
    Von diesen Ereignissen, von allen diesen Dingen reden Mauern, Gräber, Ruinen, Gold und Silber, doch keine Inschrift und kein Wort. Die mykenische Zeit ist für uns stumm. Und dennoch glauben wir, sie gut zu kennen, dennoch ist sie uns so vertraut wie keine der nächsten 500 Jahre. Wir wissen, wie die Menschen aussahen, wie sie lebten, wie sie dachten, fühlten, sprachen. Der Mann, von dem wir es wissen, lebte um 900 oder 800 vor Christus, also als Mykene längst wieder
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