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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
Autoren: Keith Donohue
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Kapitel eins
Schlag auf den Kopf, von hinten
    W ir alle fallen mal. Vielleicht liegt es am schlechten Karma oder ganz einfach nur an der größeren Anfälligkeit für die kleinen Unfälle des Lebens. Doch dieses Mal schlug ich mir den Kopf an und stürzte schlimm. Mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden des Badezimmers sah ich, dass Blut aus mir herausfloss und sich wie ein Ölfleck auf den kühlen Fliesen ausbreitete; es schien mir zu hell und theatralisch, um echt zu sein. Ein roter Fluss sickerte in die Fugen, bestimmt eine Mordsarbeit, das wieder sauber zu machen. Der Flusslauf erreichte den Rand der Badewanne und staute sich dort wie Wasser hinter einem Damm. Ich blinzelte, und im selben Augenblick wurde das Blut zu einer zweitrangigen Sorge; schlimmer war das Loch in meinem Hinterkopf, nicht so sehr wegen der Wunde, sondern wegen der hartnäckig bohrenden Schmerzen. Sogar die Verwirrung wog noch leicht im Vergleich zu der geheimnisvollen Ursache meiner blitzartig misslichen Lage. Ich habe das übermächtige Bedürfnis, nach hinten zu greifen und mit den Fingern über die Wunde zu streichen, um das Loch zu ertasten und den Radius meines Schreckens zu ermessen, aber trotz der bewussten Signale meines Gehirns gehorchen mir meine Arme nicht, und ich kann nichts, gar nichts an meiner Situation verändern.
    Die da ist: Ich bin in einer ungünstigen Position gelandet. Mein linker Arm unter mir eingeklemmt, mein rechter weit ausgestreckt, als wollte er etwas fassen oder meinen Sturz abfangen. Meine Beine und mein Unterkörper erstrecken sich in den dunklen, stillen Flur, und auf der Schwelle, die mich regelrecht in zwei Hälften teilt, wäre mein Gürtel, wenn ich denn nur irgendetwas anhätte. Doch bedauerlicherweise bin ich völlig nackt. Und die Türschwelle drückt unangenehm in meinen Unterleib und in die Hüfte. Ich habe ein Loch im Hinterkopf und kann mich nicht rühren, obgleich der Schmerz allmählich zu einer fernen Erinnerung wird.
    Erst vor einer Sekunde habe ich das Licht angemacht. Ich bin mitten in der Nacht aufgewacht, weil ich meine Blase erleichtern muss, und etwas hat mich niedergestreckt. Ein Schlag auf den Schädel, und mein Körper fiel zu Boden wie eine tote Masse. Meine linke Schulter beginnt zu pochen, vielleicht weil sie beim Sturz auf die Kante des Klos geschlagen ist. Der Badezimmerventilator surrt eine monotone Melodie, und grelles Licht ergießt sich von der Deckenlampe. Die warme Nachtluft, die durch das offene Fenster dringt, setzt hin und wieder den Vorhang in Bewegung.
    Der Sturz scheint in einem anderen Leben geschehen zu sein. Schon im Moment des Fallens quälte mich die Verblüffung und verdrängte alles andere. Schon in dieser Nanosekunde zwischen Fall und Aufprall richtete mein Hirn seine ganze Aufmerksamkeit auf das Wer und das Warum. Als das Harte auf Knochen traf, genau an der Basis meines Schädels, nur wenige Zentimeter über meinem Nacken, als ich das Gleichgewicht verlor und kopfüber voranstürzte, schärfte sich plötzlich mein Blick wie niemals zuvor. Alle Gegenstände im Raum verloren ihre Dimensionen, wurden klar und flach, als wären sie fett schwarz umrandet, ein comicähnliches Bild eines Raums. Ich sah zum allerersten Mal das ausgeklügelte Design des Waschbeckens und wie die Schale und die Seife füreinander bestimmt waren. Die Nickelgriffe für die Hand geformt, der Wasserhahn stolz wie ein Schwan. Eine Haarbürste, zwischen den Borsten ein Wirrwarr aus Haarnestern, lag verkehrt herum; das heißt, der Griff zeigte zur Innenseite des Waschtischs, statt, wie es sich eher gehörte, zum äußeren Rand. Eine dünne Schicht mineralischer Ablagerungen von tausendmal Duschen haftete an den Falten des halb geöffneten Vorhangs, und einer der aquamarinfarbenen Ringe hatte keinen Halt mehr in dem tiefblauen Plastikstoff, einsam und verlassen hing er an der Stange. Der Boden raste auf mein Gesicht zu. Nicht nur die gefällige Geometrie der Fliesen, sondern all die Hinterlassenschaften des menschlichen Körpers, Haare, Abrieb und sonstige Überbleibsel, und während ich fiel, dachte ich, gründliches Schrubben sei absolut überfällig.
    Badezimmer sind die gefährlichsten Orte in einem Haus. Bei täglichen Wetterbedingungen, deren Niveau dem des Amazonasgebiets nahekommt, gedeihen Krankheitserreger und andere Mikroben, und unaufhaltsam erblühen Bakterien auf allen feuchten Oberflächen. Hier kann man leicht ums Leben kommen. Siebzig Prozent aller Unfälle im Haushalt
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