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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein
Autoren: Henning Bo tius
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Feststellung wie ›Es regnet‹ sowohl eine Liebeserklärung sein kann wie ein Abschied. Vielleicht sind Liebeserklärungen immer auch Abschiede.«
    Einar nahm meine Hand und hielt sie fest. Er seufzte tief und sah mich aus seinen unnatürlich blauen Augen an. Sie füllten sich mit Tränen. Es war, als würde man einen Swimmingpool mit frischem Wasser voll laufen lassen. »Piet, als mich meine Frau verließ, bat sie mich, ihr nicht böse deswegen zu sein. Es sei nötig, um unserer Kinder willen. Sie wolle nicht, dass die beiden Kleinen Randfiguren einer erkalteten Beziehung seien. Sie hat Recht, weißt du; trotzdem, ich weiß inzwischen immer weniger, ob sie nicht bei der ganzen Sache ziemlich geschwindelt hat. Sie hat vielleicht nur die Bühne gewechselt, aber gespielt wird wieder das gleiche Stück. Macht, Geld und Eitelkeit spielen die Hauptrollen.«
    Die Bardame warf uns einen neugierigen Blick zu und drehte die Schallplatte um. Das Lokal war immer noch leer. Aber hinter der Tüllgardine sah man eine dunkle Gestalt stehen, die offensichtlich versuchte, durch die Löcher im Stoff in den Raum hineinzusehen.
    »Sieh mal, Piet, da draußen steht Mister Zufall und wartet darauf, dass er uns neue Überraschungen kredenzen kann.«
    »Was ist schon Zufall? Was ist Schicksal? Was ist Vorsehung? Das sind die Fragen, die meinen Vater bis zuletzt geplagt haben.«
    »Du hast die Nemesis vergessen, Piet. Sie lässt dich seit dem Fall in Lappland nicht mehr los. Linnés blinder Glaube an die Rachegöttin des Schicksals. Du möchtest, dass Falsini von der Nemesis kassiert wird.«
    »Eines steht jedenfalls fest, den perfekten, völlig gleichgültigen Zufall gibt es nicht. Der ideale Würfel, die perfekte Roulettescheibe sind Konstrukte. In der Wirklichkeit existieren sie nicht. Es gibt kein ideales Rauschen. Irgendwelche minimalen Regelmäßigkeiten gibt es immer, also auch entsprechende Muster, Strukturen, die verhindern, dass du wirklich frei bist in deinen Entscheidungen.«
    »Es mag keinen gleichgültigen Zufall geben, aber es gibt das gleichgültige, wenn nicht sogar boshafte Schicksal. Es tötet dein Kind durch die Nachlässigkeit eines Autofahrers, es rafft deine Geliebte dahin durch eine Anomalität im Informationsbereich der Zellen. Dieser Gleichgültigkeit bist du ausgeliefert. Und die Nemesis kümmert sich in solchen Fällen nicht um die Schuldfrage, habe ich Recht?«
    »Ja und nein, Einar. Ich glaube fest daran, dass man diese fast ausweglose Situation wenigstens ein ganz kleines bisschen zu seinem Gunsten verändern kann. Man kann versuchen, das Schicksal zu erziehen, seine Ignoranz zu behindern, indem man ihm entgegenkommt, ihm schmeichelt, verstehst du, was ich meine? Das Schicksal ist zwar amoralisch und bürokratisch, aber es ist auch sentimental. Das ist sein Schwachpunkt.«
    »Du hast Recht, Piet. Auch wenn dir der Wodka inzwischen den Verstand vernebelt.«
    »Du darfst dich nicht verkriechen vor dem Schicksal, Einar. Das ist das Schlimmste, was du machen kannst. Du musst auf dich aufmerksam machen, indem du aus dem Windschatten des Lebens heraustrittst. Du musst dir das göttliche Pneuma um die Nase wehen lassen. Dann stehen deine Chancen besser, nicht vom Schicksal übersehen zu werden. Dann wird es sich deiner annehmen und dich nicht seinem jüngeren, blinden Bruder, dem Zufall überlassen. Und vor allem, du darfst nie vergessen, das Unentdeckte im Entdeckten entdecken zu wollen.«
    Einar rief der Bardame etwas auf Russisch zu. »Bringen Sie uns zwei Gläser. Schöne große Weingläser. Und einen Flaschenöffner!« Er bückte sich zu seinem Koffer, öffnete ihn, holte die Flasche Lafleur heraus und stellte sie auf den Tisch.
    »Weißt du, was ich glaube? So jemanden wie Alfredo wird man nie klonen können und sein Gehirn niemals scannen. Aber was ist mit uns? Was ist mit dir? Du hast deine Mutter verloren, dein Vater ist tot, deine Geliebte auch, du hast deinen Beruf quittiert, du bist sozusagen in einer G0-Phase deines Lebens. Was gedenkst du nun zu tun, Piet?«
    Ich schwieg. Die Gläser kamen und der Öffner. Es waren große Biergläser aus Pressglas. Einar entkorkte die Flasche mit aller Behutsamkeit, die er aufzubringen vermochte, roch am Korken. Dann schenkte er mein Glas voll und schob es mir hin. »Hier. Das sind fünftausend Euro.« Die Flasche war halb leer. Der Wein hatte eine Farbe wie geronnenes Blut. Einar schenkte nun auch sich ein. Dann stießen wir an. »Auf die Warze des kleinen
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