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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein
Autoren: Henning Bo tius
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sich zu lassen. Daher seine Unruhe. Es ist eine lebenslange Qual, die das Ich in zwei gleiche Teile spaltet. Um Ruhe zu finden, stößt sich der Entdecker ein Messer halb in die Brust, um das halbe Ich zu töten, das immer weiter entdecken will, aber dabei stirbt man leider ganz und gar. Der Kerl hat übrigens Selbstmord gemacht. Kein Vorbild für dich. Meine Neugier hingegen hält sich in Grenzen. Sie ist überschaubar. Ich wurde in einem kleinen Ort an der norwegischen Westküste geboren. Auf einer Insel. Ich bin Insulaner, und daher habe ich einen eng begrenzten und zugleich unendlichen Horizont in mir, der mich kreisförmig umgibt. Das hat Vor- und Nachteile.« So ging es weiter. Auch ich erzählte. Meine Mutter nahm den breitesten Raum in meinen Berichten ein.
    Einmal gingen wir am Ufer von Suomenlinna entlang. Der Wind frischte auf, und die Wellen hatten weiße Zähne. »Wir sind heute Nacht bei Ulla Räsanen eingeladen«, sagte Einar. »Sie sieht aus wie eine Elfe. Ich sage dir, ich habe noch nie eine solche Traumfrau gesehen. Ihr Mann Pekka ist unterwegs mit seinem Fischerboot. Sie hat eine kleine Tochter, die genauso wird wie sie. Aber vorher holen wir Matti Vaala ab. Er ist zufällig in Helsinki. Ich habe ihn eingeladen.«
    »Das Assosziationsgenie? Der Fachmann in allem, was Sekten und Mythologie angeht?«
    »Vielleicht kann er uns helfen, noch ein paar offene Fragen zu beantworten.«
    Wir gingen zum Fährenanleger. Ich stellte mir unter Matti einen asketischen, durchgeistigten Menschen vor. Aber ich wurde, wie so oft, eines Besseren belehrt. Man sieht den wenigsten Menschen an, womit sie sich innerlich beschäftigten. Einar entdeckte Vaala im Bug der Fähre. Er sah aus wie ein Metzger aus einem Kinderbuch. Rot, dick, brutal, hirnlos, gewalttätig. Sein aus allen Fugen geratener Leib steckte im viel zu engen Futteral eines glänzenden Seidenanzuges. Über dem Arm trug er einen im Wind flatternden Trenchcoat. Nachdem das Personal der Fähre die Gangway ausgebracht hatte, schritt er als Erster an Land. Er umarmte Einar, dann mich, und es war, als sei man in einen Schraubstock geraten. »Seid gegrüßt, ihr beiden Recken der Sinnlosigkeit«, sagte er.
    Wir gingen in ein kleines Café in der Nähe des Anlegers. Ein kalter, zugiger Raum in einem Flügel der Festung, Eisenstühle und Tische, an denen einige Leute saßen, die wie Penner aussahen, Kuchen kauten und Kaffee, Cola oder Bier tranken. Wir kauften in einem hinteren Raum, der als Laden diente, feuchte, mit Wurst belegte Brötchen und setzten uns an einen Tisch. Vaala holte eine Flasche Wodka und drei kleine Gläser aus seinem Regenmantel. Dann begann er zu dozieren. »Was du mir erzählt hast, Einar, von Falsini und seinen Leuten, und was ich über dich durch deinen Freund Piet«, hier zwinkerte er mir zu und goss die drei Gläser voll, »über die Leute um Franz Gala in Bern hörte, lässt mich an gewisse Leute denken. Eine Frage, Einar, gab es bei der Party der Falsinis unter all den Köstlichkeiten, von denen du erzählt hast, auch Fleisch?«
    »Nein, das Essen war vegetarisch, Gemüse und dergleichen, aber höchst raffiniert zubereitet. Vieles schmeckte wie Fleisch.«
    Ich bestätigte dies. »Die gebackenen Auberginen sind mir unvergesslich.«
    »Waren verheiratete Leute da?«
    »Ja, ein amerikanischer Schriftsteller und seine Frau. Die Falsinis, auch andere Paare, nehme ich an.«
    »Haben Sie Zärtlichkeiten zwischen diesen Paaren gesehen?«
    »Nein. Nur solche zwischen außerehelichen Partnern. Zwischen Signora Falsini und ihrem Mitarbeiter Gonzaga zum Beispiel. Und zwischen der Frau des Amerikaners und einem Boutiquebesitzer. Mir fällt noch etwas ein. Bei den Galas war ich zum Essen eingeladen. Es war vegetarisch. Franziska Gala hat mich verführt. Ich meine...« Ich stotterte. Einar und Matti Vaala lachten.
    »Aha, das genügt. Du brauchst keine Einzelheiten erzählen. Außerehelicher Sex und vegetarische Kost, das passt zusammen. Alles spricht für eine Sekte, die sich von den Katharern oder Bogomilen herleitet. Die Bogomilen sind Vegetarier, und sie lehnen die Ehe ab. Dies nennt man Enkratismus. Wenn schon Sexualität, dann muss sie außerehelich sein und sollte nicht zu Kindern führen. Das Ganze kommt aus der alten Gnosis des Mani. Eine gefährliche Lehre, die das ganze Sozialgefüge des Mittelalters zu sprengen drohte. Sie ist bis heute aktiv, bricht immer wieder auf in neuen Formen und erschwert unser Leben. Manes Manichäus aus
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