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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein
Autoren: Henning Bo tius
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weigerte, all die schönen Reminiszenzen Revue passieren zu lassen, die es auch noch gab.
    Eines war mir klar: Ich musste endlich meine Wüste finden. Egal ob sie aus Sand oder Stein oder Wasser bestand. Ich wollte die Einsamkeit und die Versuchung. Nur keine Menschen mehr, keine stumpfen Blicke, keine gefräßigen Gesichter. Ich erzählte Einar von einem Indianer, den ich im amerikanischen Bundesstaat Washington im Reservat der Quileute unter reichlich mysteriösen Umständen kennen gelernt hatte. Er hatte mich auf eine Jenseitsreise mitgenommen. Er hatte mir beigebracht, dass der Rückzug aus der Menschenwelt, aus den Geschäften des Alltags, eine Voraussetzung dafür ist, einem Schatz so nahe zu kommen, dass man sogar daran denken kann, ihn zu heben. Es ist der Schatz der eigenen Identität, was immer das auch sein mag, irgendein Kern, ein Wesen, das der Person über alle Aufspaltungen hinweg den Zusammenhang verleiht.
    »Ich glaube, ich verstehe, was du meinst«, sagte mein Freund.
    »Es ist jene rätselhafte Kraft, von der die frühchristliche Theologie glaubte, dass sie dem Dreiergespann von Vater, Sohn und Heiligem Geist die göttliche Identität verlieh. Askese, Einsamkeit, sogar der Tod sind die Voraussetzungen für die erfolgreiche Suche nach diesem Geheimnis, das vielleicht den größten Wert darstellt, kostbarer als Geld, Ruhm, Erfolg. Unsere Identität, das Rätsel, das mich ›Ich‹ sagen lässt. Vielleicht ist der Tod nichts anderes als die radikalste Form der Askese. Wir existieren eingerahmt von zwei Formen der Nichtexistenz, der vorgeburtlichen und der nach dem Tode! Das Leben ist ein Zwischenzustand, ein Kompromiss, in dem jene Einheit leicht verloren gehen kann.«
    »Du liebäugelst mit dem Selbstmord, weil dich Dales Schicksal nicht loslässt. Du hättest ihr nicht mehr helfen können, glaube mir. Sie hat ihren Frieden gefunden.«
    »Was ist Identität«, fragte ich Alfredo.
    »Wenn du Bauchschmerzen hast, fühlst du sie. Bei Kopfschmerzen nicht«, sagte er.
    Ich musste in die Wüste, aber nicht in irgendeine. In keine Bilderbuchwüste, in der Ralleys stattfanden, in keine, die außerhalb Mitteleuropas lag. Ich wollte keinem Beduinen begegnen. Keinen Hobbyabenteurern in Landrovern. Ich fragte Einar nach seiner Meinung. »Du musst nicht nach Afrika gehen, wenn du eine Wüste suchst. Es gibt sie auch bereits nördlich des Mittelmeeres. Hast du mal etwas von den Causses gehört? Sie liegen in Südfrankreich. Eine reine Mondlandschaft, karg, echtes Wüstenklima, nachts kalt, tagsüber heiß. Dreißig bis vierzig Grad Temperaturunterschied sind keine Seltenheit. Ich war mal da und glaubte, in einer anderen Welt zu sein. Wir haben im Norden auch Mondlandschaften wie du weißt, die Fjelle, aber die sind etwas völlig anderes. Sie sind wüst, aber keine Wüste. Ich weiß gar nicht genau, was eine Wüste ausmacht, vielleicht sind es die extremen Temperaturschwankungen. Wüsten sind schizophren, mal heiß, mal kalt, mal unfruchtbar, mal fruchtbar, nach einem heftigen Regen zum Beispiel. Sie haben etwas Lebensfeindliches und sind zugleich Verheißungen des Lebens. Der Teufel, der Tod und die Fata Morgana, das sind die drei Gottheiten, die eine echte Wüste bewohnen. Die wahre Trinität, mein Lieber. Der Vater ist der Teufel, der Sohn ist der Tod, und die Fata Morgana ist der Heilige Geist.« Er lachte und trank einen von Alfredos öligen Espressos. »Ich war damals der Meinung, ich müsste mich kasteien«, fuhr er fort. »Ich glaubte, Schuld am Zerbrechen meiner Ehe zu haben. Ich fuhr in die Causses und übernachtete mit dem Schlafsack im Freien. Ich hatte nichts dabei. Nicht einmal einen Kanister Wasser. Aber ich fand ein Haus voll davon. Kannst du dir das vorstellen? Mitten in dieser kargen Mondlandschaft stieß ich, halb am Verdursten, auf ein verlassenes Bauernhaus. Als ich durch die Fenster sah, traute ich meinen Augen nicht. Es war bis zu den Fensterbänken voll mit schwarzem, kühlem Wasser. Ich dachte, ich litte an Halluzinationen. Doch dann kapierte ich. Es gab eine Quelle in der Nähe. Das Haus lag in einer Senke. Nach irgendeinem der seltenen Regenfälle musste sich ein Bach ein neues Bett gegraben haben bis zu diesem Gebäude. Wahrscheinlich floss das Rinnsal aus der Quelle jetzt unter den Steinen und landete im Keller des Hauses und sorgte dafür, dass es gefüllt blieb. Ich hielt mich ein paar Wochen in seiner Nähe auf. Das Wasser schmeckte frisch. Es war köstlich. Ab und zu kam ein
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