Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein
Autoren: Henning Bo tius
Vom Netzwerk:
ihn so nennen. Hieronymus bedeutet »heiliger Name«, und auch dies passt nicht so recht in unsere unheilige Zeit. Der heilige Hieronymus ist jedoch von allergrößter Wichtigkeit für die Menschheitsgeschichte. Ohne ihn wäre sie vermutlich anders verlaufen. Er ist einer der vier großen Kirchenväter. Im Gegensatz zu den anderen dreien, Ambrosius, Augustinus und Gregor dem Großen, wirkt er bis heute nach, ohne dass uns dies bewusst ist. Seine Bearbeitung der alten lateinischen Bibel wurde als Vulgata zum Urbuch der Christenheit, zur geistigen Hausordnung der nordeuropäischen Religionen. Vor allem seine Übersetzung der Evangelien hatte und hat bis heute einen starken, wenn auch gleichsam unterirdischen Einfluss auf unser Lebensgefühl. Als im 16. Jahrhunderts die Reformation einen desorientierenden Einfluss auf die Gläubigen zu nehmen begann, beschloss die katholische Kirche auf dem Konzil zu Trient nicht von ungefähr, die Vulgata zur allein selig machenden Basis des Lebens und der Lehre zu erklären. Der heilige Hieronymus als Gegengift gegen die gefährlichen Einflüsse, die von Norden her über die Alpenpässe drangen! Aber Luther packte den Stier bei den Hörnern, indem er die Vulgata übersetzte, oder, besser gesagt, nachdichtete in einem von ihm teilweise erschaffenen Deutsch voller Abgründe und Schönheit. Also steckt Hieronymus insgeheim auch in der depressiven Theologie des Nordens, den rechthaberischen Appellen der Melancholiker nördlich der Alpen für die Schlichtheit der Lebensführung. Evangelisches und katholisches Denken spiegeln seitdem den Gegensatz von Askese und Hedonismus auf dem gleichen versilberten Glas. Es ist ein fast manichäischer Dualismus, den man auch metereologisch zu spüren vermeint, wenn man über die Alpenpässe fährt und dabei das raue Wetter der Nordseite der milden und duftgeschwängerten Luft der Südseite weicht.
    Ich hätte mir lieber einen interessanten Vornamen und einen weniger seltenen Nachnamen gewünscht. Vielleicht hätte ich dann auch bei Frauen mehr Glück gehabt. Wenn die jeweilige Dame meines Herzens in einer Liebesstunde »Piet« zu mir sagt, dann ist es, als steche sie mit einer Nadel in einen Luftballon. Ich höre förmlich das feine Geräusch, mit dem die Luft aus meinen aufgeblasenen Gefühlen strömt. Stelle ich mich hingegen in einer offiziellen Situation mit Hieronymus vor, dann erstarrt alles um mich herum ein wenig. Am schlimmsten aber war es in meiner Kindheit. Ich wurde oft gehänselt wegen meines Namens. Und meine Mutter tat das Ihrige, indem sie mich »mein kleiner Hieronymus« titulierte, wenn sie mich auf ihre liebevoll gemeinte Art vernichtend rügte wegen irgendeiner Lappalie. »Mein kleiner Hieronymus hat wieder einmal seinen Teller nicht leer gegessen!« Vielleicht erklärt sich meine Körpergröße von über zwei Metern daher. Eine Art somatischer Aufstand meiner Körperzellen gegen die erniedrigende Mütterlichkeit meiner lieben Mama. Bis heute tue ich mich übrigens schwer, meinen Teller leer zu essen, die Suppe auszulöffeln, die ich oder andere mir eingebrockt haben. Nur Gläser leere ich konsequent bis auf den letzten Tropfen. Ja, ich bin wahrlich kein Asket, jedenfalls kein freiwilliger. Höchstens, dass die Umstände des Lebens mich kurz halten, mir halbwegs asketische Verhältnisse aufzwingen.
    Ich habe mich aus all diesen Gründen eine Weile, wenn auch sehr laienhaft, mit dem Leben des heiligen Hieronymus befasst. Es heißt, dass er in die Wüste gegangen sei, um zu sich selbst und zu Gott zu finden. Auch ich habe meine Wüste gesucht, nicht um Gottes oder meinetwillen, sondern um des Lebens willen. Doch davon später.
    Sophronius Eusebius Hieronymus scheint 347 nach Christus an der Grenze zwischen Ungarn und der Steiermark geboren und um 420 in Bethlehem verstorben zu sein. Dazwischen lag ein offenbar sehr bewegtes Leben, geprägt vom Zwiespalt zwischen Fleischeslust und dem Bedürfnis nach Reinheit und Wahrheit. Hieronymus reiste unentwegt, vielleicht um diesem Zwiespalt durch permanente Bewegung zu entgehen. Er floh ihn und ließ sich doch immer wieder auf ihn ein. Daher seine Unruhe, seine Aggressivität, seine Rastlosigkeit. Rom, Trier, Antiochia, Konstantinopel, dann wieder Rom waren die Hauptstationen seiner Reiselust oder Reisequal. Einmal soll er jedoch sesshaft gelebt haben: nach schwerer Krankheit in der syrischen Wüste von Chalkis nahe bei Aleppo. Hier unterzog er sich der Legende nach vier Jahre lang den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher