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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein
Autoren: Henning Bo tius
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dass man sich wichtig nimmt«, widersprach sie. »Aber das hast du mir doch gerade vorgeworfen«, antwortete ich. »Es gibt eben unterschiedliche Arten, sich wichtig zu nehmen, mein Guter. Du willst doch nicht etwa leugnen, dass du überempfindlich bist?! Deine Bescheidenheit, auf die du so stolz bist, ist in Wahrheit eine Maske, hinter der du eine enorme Eitelkeit verbirgst. Jede Frau an deiner Seite wird dies ertragen müssen.«
    Natürlich hatte sie wieder einmal Recht. Während ich heftig widersprach, nickte sie zufrieden, als erklärte ich gerade mein Einverständnis mit dem Bild, das sie von mir hatte. Schließlich sagte ich mit vorwurfsvoll erhobener Stimme: »Mutter, du verstehst mich nicht.« Deutlicher konnte man nicht kapitulieren, denn sie hatte nun die Möglichkeit zu einem ihrer üblichen Schlussworte: »Doch, doch, mein Sohn. Ich verstehe dich eher zu gut, mein lieber, armer Junge. Ich verstehe dich sogar besser als du selbst. Und eines musst du mir glauben, ich leide mit dir, wenn du wieder einmal eine unglückliche Beziehung zu einer Frau haben solltest.«
    In Augenblicken wie diesen empfand ich reinste Mordlust. Ich war mitten in einem pervertierten Ödipuskomplex mit einem Vater, der meine Mutter war. Meinen leiblichen Vater habe ich ja kaum gekannt, denn er starb sehr früh an Leukämie, wie mir meine Mutter erzählt hat. Vielleicht eine Fluchtreaktion vor seiner Frau, dachte ich und grinste hilflos bei diesem Gedanken, während meine Mutter nach meiner Hand griff und sie tröstend streichelte.
    Einen Tag nach jenem Gespräch verschwand sie. Die Polizei suchte sie vergeblich. Auch die Personenbeschreibungen im Radio und im Fernsehen brachten kein Ergebnis. Ich nahm eine Woche Urlaub und fuhr mit dem Auto herum, suchte alle Orte auf, von denen ich wusste, dass sie meiner Mutter etwas bedeutet hatten. Vergeblich. Sie hatte sich in Luft aufgelöst.
    Eine Weile empfand ich echte Trauer. Dann mischte sich in dieses Gefühl so etwas wie Erleichterung, verbunden mit Schuldgefühlen. Sie war schließlich alt genug geworden und hatte ein erfülltes Leben gehabt, wenn man ihren eigenen Worten Glauben schenken wollte. Man würde ihre Leiche schon finden und einer würdigen Bestattung zuführen.
    Das war natürlich völliger Unsinn. Tatsache war, dass ich mir meine Mutter einfach nicht tot vorstellen konnte. Vielleicht hatte sie nur einen Ausflug gemacht, wie schon einmal, als sie ohne Ankündigung nach Köln zum Karneval gefahren war. Und selbst wenn man mich demnächst in ein Leichenschauhaus holen würde, um sie zu identifizieren, würde ich den Anblick ihres entseelten Leibes für einen schlechten Scherz halten, für einen Gauklertrick. Denn ich wusste ja schließlich, dass sie unsterblich war, wenigstens so lange ich selber lebte. Erst mein eigenes Ende würde sie mit hinabreißen in den Abgrund des Nichts. Doch nicht einmal das erschien mir sicher.
    Die andere Sache beschäftigte mich mehr. Ich hatte während meines letzten Falles – einer reichlich abstrusen Geschichte in Schottland – eine junge Kollegin kennen gelernt. Dale Mackay aus Inverness. Sie hat eine tiefe, resonanzreiche Stimme, sodass ich sie anfangs am Telefon für einen Mann gehalten hatte. Sie gehört zu diesen ungeheuer selbstbewussten Frauen, die in den letzten Jahren aus der langen Geschichte weiblicher Unterdrückung mit geradezu verblüffender Selbstverständlichkeit hervorgehen. Wir führten inzwischen über das Telefon so etwas wie eine heiße Fernliebe. Da wir übereingekommen waren, unsere Berufe nicht aufzugeben, hatten wir uns entschlossen, eine Art Seemannsehe einzugehen mit all ihren Vor- und Nachteilen. Wir sahen uns selten, aber das hielt unsere Verliebtheit frisch wie eine Rose, deren Stiel man immer wieder anschneidet. Andererseits war uns auch bewusst, dass dieser Zustand uns zwar die üblichen Gefühlserosionen durch die Alltagsverhältnisse ersparte, aber zugleich eine gewisse Fremdheit zwischen uns konservierte, die eines Tages zum Ende unserer Liebe führen konnte. Außerdem ist kein Rosenstiel unendlich lang.
    Dale war in Schottland, als mich die Nachricht vom Verschwinden meiner Mutter erreichte. Ich rief sie an und erzählte die Neuigkeit im Stile eines Auslandskorrespondenten. »Mein armer Junge«, sagte Dale schließlich. »Sie wird dir fehlen. Schade, dass ich sie nie kennen gelernt habe.« Klang sie nicht bereits wie meine Mutter? Dale fragte, ob sie herüberkommen solle. »Nein«, sagte ich, »das ist
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