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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil
Autoren: Selma Lagerloef
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XXVII. Das Eisenwerk
    Donnerstag, 28. April.
    Fast den ganzen Tag, als die Wildgänse über den Bergwerkdistrikt hinflogen, wehte ein starker Westwind, und sobald sie versuchten,
     gen Norden zu steuern, wurden sie gen Osten geworfen. Akka aber glaubte, daß Reineke in dem östlichen Teil des Landes umherlief.
     Aus diesem Grunde wollte sie nicht nach der Seite fliegen, sondern kehrte einmal über das andere um und kämpfte sich mühselig
     nach Westen zurück. Auf diese Weise kamen die wilden Gänse nur langsam vorwärts, und gegen Nachmittag waren sie noch nicht
     weitergekommen als bis an den Bergwerkdistrikt von Westmanland. Gegen Abend legte sich der Wind plötzlich, und die müden Reisenden
     faßten Hoffnung auf eine Stunde ruhigen Fluges vor Sonnenuntergang. Aber da kam ein heftiger Windstoß gefahren, der trieb
     die Gänse vor sich her wie Bälle, und Niels Holgersen, der ganz sorglos dasaß und von keiner Gefahr träumte, ward von dem
     Gänserücken gehoben und in den leeren Luftraum geschleudert.
    Der Junge war so klein und so leicht, daß er in dem mächtigen Sturm nicht gleich auf die Erde fallen konnte, er flog noch
     eine Weile mit dem Wind weiter und sank dann langsam und flatternd hinab, wie ein Blatt, das vom Baume weht.
    »Ach, das hat keine Not!« dachte der Junge noch während er fiel. »Ich sinke so langsam hinab, als wäre ich ein Stück Papier.
     Der Gänserich Martin wird sich schon beeilen und mich wieder aufsammeln.«
    Das erste, was er tat, als er auf die Erde hinabkam, war die Mütze vom Kopf zu reißen und damit zu winken, damit der große,
     weiße Gänserich sehen sollte, wo er war. »Hier bin ich, wo bist du? Hier bin ich, wo bist du?« rief er und war ganz erstaunt,
     daß der Gänserich Martin noch nicht neben ihm war.
    Aber der große Weiße war nicht zu sehen, und er sah auch die Schar der Wildgänse sich nicht vom Himmel abzeichnen. Sie war
     ganz verschwunden.
    Er fand das ja freilich ein wenig sonderbar, aber er wurde nicht bange oder unruhig. Es fiel ihm auch nicht einen Augenblick
     ein, daß Akka oder Martin ihn im Stich lassen könnten. Der heftige Windstoß hatte sie wohl mitgenommen. Sobald sie imstande
     waren, zu wenden, würden sie schon zurückkommen und ihn holen.
    Aber was war denn das? Wo in aller Welt war er hingeraten? Bisher hatte er nur dagestanden und nach den Gänsen zum Himmel
     emporgesehen, aber jetzt blickte er plötzlich um sich. Er war nicht auf die flache Erde hinabgefallen, sondern in eine tiefe,
     breite Bergschlucht, oder was es nun sein mochte. Es war ein Raum so groß wie eine Kirche, mit fast lotrechten Felsenwänden
     nach allen Seiten und ganz ohne Decke. An der Erde lagen einige große Felsblöcke und dazwischen wuchsen Moos und Preißelbeergrün
     und kleine, niedrige Birken. Hier und da an den Felswänden waren vorspringende Ecken, vondenen zerbrochene Leitern herabhingen. Nach der einen Seite erschloß sich ein finsteres Gewölbe, das tief in den Berg hineinzuführen
     schien.
    Der Junge war nicht umsonst einen ganzen Tag über den Bergwerkdistrikt dahingeflogen. Er begriff sofort, daß die große Schlucht
     dadurch entstanden war, daß man in früheren Zeiten an dieser Stelle Erz in dem Berge gebrochen hatte. »Aber ich muß sofort
     versuchen, ob ich nicht wieder auf die Erde hinaufklettern kann,« dachte er, »denn sonst fürchte ich, daß meine Reisegefährten
     mich nicht finden können.«
    Er wollte eben an die Felswand gehen, als jemand kam und ihn von hinten packte, und er hörte eine grobe Stimme in sein Ohr
     brummen: »Was für einer bist du denn?«
    Der Junge wandte sich schnell um, und im ersten Schrecken glaubte er, einem großen Felsblock gegenüberzustehen, der mit graubrauner
     Bartflechte bedeckt war; dann aber gewahrte er, daß der Felsblock breite Füße hatte, auf denen er gehen konnte, und einen
     Kopf und Augen und einen großen, brummenden Mund.
    Er konnte kein Wort der Entgegnung hervorbringen, aber das schien das große Tier auch gar nicht zu erwarten. Er warf ihn um,
     rollte ihn mit der Pfote hin und her und beschnüffelte ihn. Es sah so aus, als wolle es ihn verschlingen, da aber kam es auf
     andere Gedanken und rief: »Murre und Brumme, kommt schnell, meine Kleinen! Hier ist was Leckeres für euch!«
    Augenblicklich kamen zwei zottige Junge dahergestürzt, sie standen schlecht auf den Beinen und hatten ein weiches Fell so
     wie junge Hunde.
    »Was habt Ihr da gefunden, Bärenmutter? Dürfen wir sehen, was es
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