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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein
Autoren: Henning Bo tius
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angestrahlte rote Rose steht.
    Ich nahm dies alles und noch einiges mehr bei meiner ersten Begegnung mit der Stadt wahr, einer Situation, die vergleichbar ist mit dem ersten Augenkontakt mit einem Menschen. Zuneigung oder Abneigung, Verliebtsein oder Gleichgültigkeit wurzeln zumeist in diesem allerersten Eindruck, den das Fremde auf uns macht. In diesem Fall ergab sich eine krause Mischung all dieser Gefühle. Bern zog mich an. Es stieß mich aber auch ab. Es faszinierte mich, und es ließ mich auf eine ganz seltsame Weise gleichgültig, so als wüsste ich, dass es eine Kulisse war, eine schöne zwar, aber doch geträumten Fantasien näher als der Realität.
    Vielleicht lag diese ambivalente Reaktion auch daran, dass ich meine ersten Schritte durch Bern unter Anleitung eines speziellen Führers machte. Franz Gala. Gala war Schweizer, aber kein Berner. Er schien zu dieser Stadt eine Art Hassliebe, oder besser gesagt, eine von gewissen Abneigungen überlagerte dezente Zuneigung zu haben.
    Gala erwartete mich am Bahnsteig, ein kleiner Mann mit wachsamen Augen, zu dem ich sofort Zutrauen fasste. Er reichte mir die Hand und drückte sie fest. »Einen schönen Namen haben Sie, Doktor Hieronymus. Er ist für mich voller geistesgeschichtlicher Assoziationen.«
    »Woher kennen Sie meinen akademischen Titel?«
    »Internet, Doktor Hieronymus. Ich weiß, dass Sie als Psychologe gearbeitet haben, ehe Sie bei der Polizei gelandet sind. Wir haben Ihre Dissertation über multiple Persönlichkeiten in unserem Archiv. Eine sehr interessante Arbeit. Man wechselt die Persönlichkeit wie das Hemd. Ein Leben wie in einem Kostümverleih. Eigentlich sehr angenehm. Haben Sie eigene Erfahrungen damit?« Er sah mich gutmütig lächelnd von der Seite an. Ich zog es vor, zu schweigen.
    Wir gelangten in die Altstadt. Gala wies mit lässigen Kellnerbewegungen auf diese und jene Sehenswürdigkeit hin, die er mir mit Bemerkungen servierte wie »in der architektonischen Bedeutung weit überschätzt«, »im Grunde wenig bemerkenswert«, »höchstens von historischem Interesse«. Er machte die Stadt nach Kräften schlecht, aber eine gewisse Liebe zu ihr war dennoch zu spüren. Schließlich empfahl er mir ein Hotel in der Altstadt, dessen Preise günstig seien, was sich allerdings als Trugschluss herausstellte. Nun wird meine Hotelrechnung normalerweise zwar von meiner Behörde bezahlt, aber in diesem Fall war ich mir dessen keineswegs sicher. Mir war jedoch alles egal. Die Berner Stimmung hatte bereits von mir Besitz ergriffen, eine merkwürdige Form der Apathie, in der Preise in einer unbekannten Währung existierten. Gala drückte mir zum Abschied die Hand. »Ich erwarte Sie um acht Uhr in den Brückenstuben«, sagte er. Dann ging er, wobei sein grauer Mantel mehr und mehr mit den Häuserwänden und dem Gassenpflaster zu verschmelzen schien.
    Im Hotel legte ich mich auf das frisch bezogene, kühle Bett, nachdem ich einen kurzen Blick aus meinem Zimmerfenster geworfen hatte, das auf einen düsteren Hinterhof ging. In seiner Mitte erhob sich ein Baumstumpf. Ich schloss die Augen und gab mich dem Gefühl hin, am Grunde des Styx dahinzutreiben wie ein von Vergangenheit voll gesogenes Stück faules Holz.
    Vielleicht war ich eingeschlafen. Irgendwann zwang ich mich, aufzustehen, hinauszugehen und draußen herumzuspazieren, ziellos, jederzeit darauf vorbereitet, die Silhouette meiner Freundin zu erkennen, ihren Gang, ihre Haare. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass Dale noch hier war, aber dass sie wie die gesuchte Person in einem Vexierbild unter den eintönigen, grauen Schraffierungen dieser Häuserfassaden kaum zu erkennen sein würde. Einmal stieg ich eine lange, steile Treppe zur Aare hinab und folgte eine Weile dem rauschenden Fluss. Er war eiskalt, wovon ich mich durch Handeintauchen überzeugte. Seine Wirbel und Strudel hatten die Schönheit gehäkelter Deckchen, die jemand blitzschnell über einen langen, schmalen, hellgrünen Tisch zog. Niemand begegnete mir außer einem großen Menschen mit langen Haaren, der fast so aussah wie ich noch vor wenigen Jahren, als ich die Haare ähnlich schulterlang trug. Er pfiff seinen Hund, einen großen Dobermann, zu sich, packte ihn am Halsband und ließ mich passieren, wobei er mir ein verständnisinniges Lächeln schenkte, so, als seien wir insgeheim Vertraute, Verschworene in dieser düsteren Welt.
    Auf der Nydeggbrücke hörte ich zum ersten Mal jene Musik, die aus einem der Brückenhäuschen kam. Ich
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