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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein
Autoren: Henning Bo tius
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per Handschlag. Sie sah durchschnittlich aus, eine Hausfrau, wie ich dachte, die sich mit einer Freundin trifft, um jene Bagatellen des Lebens durchzusprechen, die in der Kosmologie ihres Daseins für die Gravitation verantwortlich sind. »Ich hörte von Doktor Gala, dass Sie für einige Zeit eine Wohnung in Bern suchen?« Sie lächelte wie ein weiblicher Weihnachtsmann, wie eine Weihnachtsfrau. »Sie können meine haben. Ich fliege für drei Wochen nach Indien. Ich gebe Franz morgen früh den Schlüssel. Sie können ihn bei ihm abholen.«
    Ich stammelte Dankesworte, erging mich in hilflosen Komplimenten über Bern und seine Bewohner. Franz Gala erhob sich, legte die Hand auf meine Schulter und geleitete mich an unseren Tisch zurück, als sei ich jemand, der seelischen Beistand brauchte. Wir tranken jeder noch ein Glas. »Das war Gudrun Walser. Sie ist die höchste Beamtin Berns. Sie ist Stadtschreiberin.«
    »Wieso? Sind die Schriftsteller hier beamtet?«
    Doktor Gala lachte. »Sie schreiben in der Tat manchmal so, als seien sie es. Eine Stadtschreiberin hat nichts mit Literatur im engeren Sinne zu tun. Sie verwaltet die Gesetzestexte. Alle Beschlüsse des Parlaments landen auf ihrem Schreibtisch und werden von ihr und ihren Mitarbeitern so bearbeitet, dass das Wahlvolk sie verstehen kann.«
    »Und die Wohnung? Will sie keine Miete?«
    »Nun. Gudrun ist eben ein besonderer Mensch. Ich habe ihr vom Verschwinden Ihrer Freundin erzählt. Ich nehme an, dies soll ihr Beitrag sein zu einem glücklichen Ausgang der Geschichte. Sie können jetzt in Ruhe der Sache nachgehen, ohne von der Anonymität eines Hotelzimmers belastet zu sein. Ich sage Ihnen, eine schönere Wohnung gibt es nicht in ganz Bern.«
    Ich wollte wieder aufstehen, um mich noch einmal zu bedanken. Aber Franz Gala legte die Hand beruhigend auf meinen Unterarm. »Es ist schon in Ordnung so. Gudrun weiß, was sie tut. Sie verfügt über eine große Menschenkenntnis. Fassen Sie das Ganze als Sympathieerklärung unseres kleinen Landes für ihr kleines Land auf.«
    »Das Land mit den höchsten Bergen und das Land, das am tiefsten liegt, zum Teil sogar unter dem Meeresspiegel.«
    »Eben«, sagte Doktor Gala. Wollte er damit auf die topografische Besonderheit der Niederlande anspielen? Er stand auf, nahm mich kurz in die Arme und sagte: »Machen Sie es gut. Ich wünsche Ihnen viel Glück und eine gute Nachtruhe.« Dann verschwand er nach diesem für einen Hiesigen sicherlich ungewöhnlichen Gefühlsausbruch in der Garderobe. Die vielen Wintermäntel verschluckten ihn mit ihrer feuchtmuffigen Dunkelheit wie einen kleinen, sanften Fisch. Als er wieder zu sehen war, trug er eine elegante, hellbraune Lederjacke. »Besuchen Sie mich morgen in meinem Büro«, sagte er und drückte mir noch einmal fest die Hand, ehe sich seine Gestalt im dichten Schneetreiben verlor.
    Ich ging ins Hotel zurück, und diesmal gelang es mir, den Hinterhof zu ertragen, ja, ich begann sogar lange dort hinabzustarren, in diese würfelförmige Leere mit ihren blinden Fensterreihen, den grauen Ascheimern und dem Stumpf eines abgesägten Baumes.
    Am nächsten Morgen war ich zur verabredeten Zeit in der Universitätsbibliothek. Gala erwartete mich im Foyer. Und dann begann er eine Führung durch sämtliche Räume, Gänge und Magazine, die in vieler Hinsicht seine erste Führung durch die Stadt wiederholte. Er machte alles schlecht, jeden Blick aus den Fenstern, jeden Einrichtungsgegenstand, den Kopierer, die Cafeteria. Das Einzige, was er gelten ließ, war ein wunderschöner, mit Deckengemälden reich verzierter Saal, der über alle Stockwerke des Hauses ging. Es war der Besucherraum, der Lesesaal. »Dies ist unser Italien. Unter diesem Barockhimmel wird jede Lektüre zu einem geistigen Genuss«, sagte er.
    Besonders lange hielten wir uns im Magazin auf. Franz Gala zog mal dieses, mal jenes Buch aus den Regalen, wies auf dessen literarische Mittelmäßigkeit hin, beklagte den Zustand des Einbandes. »Das hier sind unsere einheimischen Autoren«, sagte er und zeigte auf ein großes Regal. »Sie schreiben alle ziemlich gut, aber leider nur ziemlich. Was man von diesen Werken dort nicht sagen kann.« Er wies auf ein anderes Regal. »Wir sind gerade dabei, eine umfassende Sammlung aller Schriften zur Genetik anzulegen. Ein faszinierendes Gebiet, voller Abgründe, voller erregender Aussichten. Entsprechend inspiriert schreiben die Autoren. Man spürt ihnen an, welche Ehrfurcht sie packt angesichts der
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