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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein
Autoren: Henning Bo tius
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Gegensätze in sich vereinte. Mann und Frau, Laster und Tugend, Askese und Perversion, zerstörerische Kraft und Fruchtbarkeit. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch die beiden seitlich aus dem Kopf ragenden Tierhäupter, die je zu einer Antilope und einem Löwen zu gehören schienen. Die Brust der Gottheit war nackt. Aus dem Gürtel ragte ein erigierter Penis hervor. Er wies steil nach oben wie ein Wegweiser. Auf der Eichel waren drei Buchstaben eingeritzt. A-U-M. Die Haare des unheimlichen Wesens waren zu einer Frisur zusammengebunden, die an züngelnde Flammen erinnerte. Die Figur schien aus Schiefer zu bestehen. Sie stand aufrecht in einer Mulde von weißem Sand.
    Ich schloss den Wandschrank und drehte den Schlüssel in der Tür. Ein wenig von dem Sand war auf das Parkett gerieselt. Ich ging in die Küche, holte Schaufel und Besen und fegte den Boden sauber. Dann setzte ich mich mit einer Flasche Wein und einem Glas ans Fenster, öffnete es einen Spalt und lauschte dem Atem dieser Stadt, die zu schlafen schien, so gleichmäßig kam er mir vor.

4. Der Mantel

    Ich saß und trank und betrachtete das Dach gegenüber. Auf ihm gab es kleine Schlote, richtige Schornsteinhäuschen, alle mit eigenen Schindeln gedeckt. Aus ihren Miniaturfenstern und Türen quoll dicker Rauch, als ob sie brannten. Lange starrte ich in den Winterhimmel, aus dem dünner Regen fiel. Nur eine Fensterreihe des Hauses gegenüber war erleuchtet. Keine Vorhänge versperrten den Blick auf Teppiche und Möbel.
    Plötzlich hatte ich Angst. Keine gewöhnliche Angst, wie sie einen zuweilen befällt, wenn irgendeine unangenehme Entwicklung droht. Es war Kinderangst, grund- und bodenlose Kinderangst, jenes nackte Entsetzen, das einen Achtjährigen vor der Dunkelheit unter dem Bett befallen kann, wenn er glaubt, das schwarze Maul eines Monsters könnte sich seine Hand schnappen, um ihn hineinzuzerren in die Unendlichkeit eines qualvollen Todes. Es war lange her, dass ich solche Angst verspürt hatte, und ich schämte mich ihrer in diesem Augenblick wie eines unpassenden Gefühls.
    Eine Stehlampe erhellte die Wohnung gegenüber. Eine Frau in schwarzem Trägerkleid saß an einem Glastisch und arbeitete. Ihre nackten, wohlgeformten Arme bewegten sich kaum merklich, während ihre Finger über die Tastatur eines Keyboards flogen. Was mochte sie schreiben? Ich sah nur ihren Rücken und wartete darauf, dass sie vielleicht aufstehen und ans Fenster kommen würde, damit ich ihr Gesicht sehen konnte. Aber vergeblich, sie sah nicht auf, obwohl sich ihre Haltung plötzlich deutlich veränderte. Jemand musste soeben den Raum betreten haben, denn die Frau am Glastisch blickte jetzt in den unsichtbaren Hintergrund des Zimmers. Ihre Finger erstarrten dabei in einer bestimmten Konfiguration über der Tastatur. Sie nickte der Person zu, blieb jedoch sitzen, woraus man schließen konnte, dass der Ankömmling ihr vertraut war.
    Eine Weile geschah nichts. Dann aber geriet eine zweite Person in mein Blickfeld. Eine junge Frau in feuerrotem Kleid. Seine überraschend leuchtende Farbe deckte fast alle der vierundzwanzig Glasquadrate des Fensters zu. Auch diese Person war schlank. Doch trat ihr Bauch kugelig hervor, sodass der Stoff dort Falten warf, ähnlich den Längsrinnen an den Hängen eines Vulkans. Sie schien schwanger zu sein. Da sie mir jetzt den Rücken zudrehte, konnte ich ihr Gesicht nicht erkennen. Beide Frauen blickten sich nicht mehr an. Aber es kam mir vor, dass sie miteinander redeten und dabei in die Tiefe des Raumes starrten, als erwarteten sie von dort einen dritten Gast.
    Ich öffnete mein Fenster einen Spalt, lauschte hinaus, aber da war nichts anderes zu hören als eine undefinierbare Mischung aus nächtlichen Stadtgeräuschen: das Pfeifen des in den Gassen gefangenen Windes, das ferne Rumpeln einer vorbeifahrenden Straßenbahn, vereinzelte, emporhallende Stimmen von späten Kneipengängern, die Schläge der Glocke des nahe gelegenen Münsters.
    Plötzlich griff drüben die Rotbekleidete zur Stehlampe. Das Licht erlosch, und in den nun pechschwarzen Scheiben spiegelte sich nur noch der große, elektrische Weihnachtsstern, der über der Gasse hing.
    Irgendetwas in mir wollte mich überreden, hinunterzugehen und drüben zu klingeln. Oder wenigstens zu versuchen, einen Namen auf dem Klingelschild zu entziffern, um ihn dann im Telefonbuch nachzuschlagen und diesen anzurufen. Eigentlich war das plötzliche Erlöschen des Lichtes in einem Raum, in dem sich zwei
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