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Römischer Lorbeer

Römischer Lorbeer

Titel: Römischer Lorbeer
Autoren: Steven Saylor
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erkennt sie deshalb einen
Eunuchen, wenn sie ihn sieht. Ich würde gern einen Teil ihrer
Klugheit für mich in Anspruch nehmen, aber gewisse Einsichten
kann sie nur von ihrer Mutter haben.«
    »Vielleicht sind
sie beide Hexen«, sagte Trygonion.
    »Genug der
Grobheiten«, knurrte Dio. »Galloi glauben, sie
könnten sich alles herausnehmen, unter wessen Dach auch immer.
Sie kennen keinerlei Scham.«
    »Und das ist
nicht alles, was uns fehlt«, sagte Trygonion mit ernstem
Gesicht.
    Woher ihre Einsicht
auch rühren mochte, Diana hatte ihren Finger auch auf das weit
erstaunlichere Geheimnis gelegt, das hinter der Verkleidung meiner
Gäste schlummert: Was wollten sie hier gemeinsam? Denn es war
offenkundig, daß sie keinerlei Zuneigung füreinander
hegten.
    »Wenn ihr genug
Wein getrunken habt«, sagte ich, wohl wissend, daß
Trygonion deutlich mehr als einen Becher getrunken, Dio hingegen
den seinen kaum angerührt hatte, »und wir genug
über eure Verkleidung geredet haben, sollten wir vielleicht
von ernsteren Dingen sprechen. Warum bist du zu mir gekommen, Meister,
und was willst du von mir?«
    Dio räusperte
sich. »Du hast das erwähnt, was die Römer
»ägyptische Situation« nennen. Ich nehme also an,
daß du von dem falschen Testament König Alexanders,
Caesars und Pompeius’ Plänen, ihre Hände an die
ägyptischen Reichtümer zu legen, und dem Massaker an
meinen Kollegen weißt, die gekommen waren, den römischen
Senat um Gerechtigkeit zu bitten -«
    Ich hob die Hand.
»Vielleicht solltest du am Anfang beginnen und mir Schritt
für Schritt erklären, was dich vor meine Tür
geführt hat. Aber zunächst will ich nur eine ganz
schlichte Antwort auf zwei einfache Fragen. Erstens, warum bist du
zu mir gekommen?«
    Dio sah mich lange an,
bevor er die Flammen auf dem Kohlenrost fixierte. Seine Stimme
zitterte. »Ich bin zu dir gekommen, weil es in Rom sonst
niemanden gibt, an den ich mich um Hilfe wenden kann, niemanden,
dem ich vertrauen kann - falls ich dir tatsächlich trauen
kann.« 
    Ich nickte. »Und
zweitens, was willst du von mir, Meister?«
    »Ich
möchte, daß du mir hilfst -« Er würgte an
seinen Worten. Schließlich wandte er den Blick von dem
Kohlenrost und sah mich direkt an, so daß der Widerschein der
Flammen in seinen Augen tanzte. Sein Kiefer bebte, die Hautfalten
an seinem Hals zitterten, als er schluckte. »Hilf mir. Bitte!
Ich will, daß du mir hilfst…«
    »Wobei soll ich
dir helfen?«
    »Am Leben zu
bleiben!«

3
    Mit seiner wallenden
dunklen Mähne, seiner hochaufragenden Gestalt (damals noch
deutlich weniger beleibt) und seiner freundlichen Art war der
Philosoph Dio im Alexandria meiner Jugendjahre eine auffällige
Figur gewesen. Wie die meisten Ägypter der
Oberschicht war er griechischer Abstammung - mit einem leichten
skythischen Einschlag, so behauptete er, der seine Größe
erkläre, und ein paar Tropfen äthiopischen Blutes, denen
er seine dunkle Hautfarbe verdanke. Auf der Treppe der Bibliothek,
die dem Serapis-Tempel angegliedert war, wo sich die Philosophen
zur Debatte trafen, war er ein vertrauter Anblick
gewesen.
    Als junger Mann war
ich nach langen Reisen in Alexandria gelandet und hatte
beschlossen, eine Weile zu bleiben. Dort hatte ich meine Frau
Bethesda kennengelernt oder genauer, dort hatte ich sie gekauft;
sie war als sehr junge und sehr hübsche Sklavin auf dem
großen Sklavenmarkt angeboten worden. (Sie galt als
aufsässig, wie der Händler widerwillig eingeräumt
hatte, weswegen ich sie mir überhaupt hatte leisten
können; doch wenn das, was sie mir bereitete, Probleme waren,
verlangte es mich nur nach noch mehr davon.) So verbrachte ich die
heißen alexandrinischen Nächte im Taumel der Lust,
während es mich tagsüber, wenn Bethesda sich in meiner
schäbigen Bude nützlich machte oder zum Markt ging, zur
Treppe vor der Bibliothek, zu Dio zog. Ich war kein Student der
Philosophie - für eine formelle Ausbildung fehlte mir das Geld
-, doch es war eine Tradition der alexandrinischen Philosophen,
auch gemeine Bürger von Zeit zu Zeit kostenlos in eine Debatte
miteinzubeziehen.
    Heute, dreißig
Jahre später, kann ich mich nur an Bruchstücke dieser
Gespräche erinnern, doch ich weiß noch genau, wie Dio
meine jugendliche Leidenschaft für die Wahrheit mit seinen
rhetorischen Rätselfragen bis zur Weißglut anfachte. In
jenen Tagen hatte ich alles, was ich brauchte -was für einen
jungen Mann nicht viel ist: eine unbekannte Stadt, die ich
entdecken konnte, eine Partnerin
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