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Römischer Lorbeer

Römischer Lorbeer

Titel: Römischer Lorbeer
Autoren: Steven Saylor
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Begleiter heraus.
    »Dies«,
sagte Dio und wies auf den kleinen Eunuchen, der seinerseits
aufstand, wenn auch ein wenig wackelig, »ist Trygonion, ein
Priester am Tempel der Kybele hier in Rom.«
    Der Eunuch verbeugte
sich und nahm seinen Hut ab, unter dem eine unnatürlich
blondgefärbte Mähne hervorquoll. Er fuhr sich mit den
Fingern durchs Haar und schüttelte den Kopf, um seine Locken
zu entwirren.
    »Ein
Philosoph… und ein Gallus !« meinte Diana staunend.
Das letzte Wort ließ mich zusammenzucken. Gallus ist der
lateinische Ausdruck für einen kastrierten Priester der
Großen Mutter, Kybele. Sämtliche dieser Galloi sind
Ausländer, weil es Römern gesetzlich verboten ist, einer
zu werden. Bei den Anhängern der Göttin ist das Wort
heilig, doch andere benutzen es gelegentlich als Schimpfwort.
(»Du schmutziger Gallus !«) Die Vorstellung, daß
Männer zu Eunuchen werden, selbst im Dienst des
Göttlichen, bleibt für die meisten Römer fremd und
abstoßend. Ich konnte mich nicht daran erinnern, Diana das
Wort beigebracht zu haben, doch andererseits verblüffte sie
mich ständig mit Dingen, die ich sie nicht gelehrt habe.
Vermutlich weiß sie solche Sachen von ihrer
Mutter.
    »Ja«,
sagte Dio trübselig, »löse dieses Rätsel,
Gordianus: Was um alles in der Welt könnten ein Philosoph und
ein Galloi gemeinsam haben - ein Mann, der nach der Vernunft lebt,
und ein Mann, der aus dem Verzicht auf jede Vernunft besteht? Ha!
Die Umstände machen seltsame Bettgenossen. Und je
verzweifelter die Umstände, desto seltsamer die
Bettgenossen.« Er warf einen düsteren Seitenblick auf
den Eunuchen, der auf einmal skeptisch dreinblickte.
»Natürlich nur metaphorisch. Gibt es diese Redewendung
im Lateinischen auch?«
    »Zumindest eine
sehr ähnliche.«
    Er nickte, befriedigt,
sich verständlich gemacht zu haben. Sein Lateinisch war in
Wahrheit makellos, auch wenn er es mit einem ausgeprägten
alexandrinischen Akzent sprach, mit der besonderen Betonung des
gebürtigen Alexandriners, dessen Vorfahren und Muttersprache
griechisch waren. Als ich ihn jetzt offen sprechen hörte,
erinnerte ich mich wieder an diese Stimme. Sie war mit dem Alter
rauher geworden, doch unverkennbar noch immer dieselbe, der ich als
junger Mann, begierig, über die Welt zu erfahren, was ich nur
konnte, auf den Stufen des Serapis-Tempels in Alexandria gelauscht
hatte. Dios Stimme trug mich weit zurück in meine Erinnerung
und weit weg von Rom.
    Nachdem wir einander
vorgestellt hatten, nahmen wir bis auf Diana wieder Platz, die sich
entschuldigte und das Zimmer verließ, zweifelsohne, um ihrer
Mutter Bericht zu erstatten.
    Dio räusperte
sich. »Erinnerst du dich nun an mich?« 
    »Meister«,
sagte ich, denn so hatte ich ihn in Alexandria genannt, und es kam
mir auf einmal seltsam vor, ihn jetzt mit seinem Namen
anzusprechen, obwohl ich das Alter jugendlicher Ehrerbietung
längst hinter mir gelassen hatte, »natürlich
erinnere ich mich an dich. Es wäre schwer, einen Menschen wie
dich zu vergessen!«
    »Ich hatte
gedacht, nach all den Jahren… Und wie konnte ich, als man
mir deinen Namen nannte, sicher sein, daß es derselbe
Gordianus war, den ich vor so langer Zeit gekannt hatte?
Gewiß, der Name ist ungewöhnlich, außerdem schien
man der Ansicht zu sein, daß du als junger Mann in Alexandria
gewesen bist, und alles, was ich hörte, klang nach dem Baum,
der aus diesem Sproß gewachsen sein könnte - diesen
Ausdruck kennt ihr auch, ja? Gut. Verstehst du, daß ich
inmitten zahlreicher Gefahren und umgeben von noch zahlreicheren
Verrätern nicht offen zu dir kommen konnte? Warum ich
gezögert habe, mich dir zu offenbaren? Warum ich selbst deinen
überaus köstlichen Wein beargwöhnen
mußte?« Er sah mich verlegen an und kaute an einem
Fingernagel. »Selbst als ich dich gesehen hatte, war ich mir
nicht sicher, daß du der Gordianus bist, den ich in
Alexandria gekannt hatte. Die Zeit verändert uns alle, und du
trägst jetzt eine Art Maske, wenn du verstehst, was ich
meine.«
    Er wies auf mein
Gesicht. Ich strich mir übers Kinn und begriff, daß er
meinen Bart meinte.
    Ich lächelte.
»Ja, damals war ich glattrasiert. In Alexandria ist es zu
heiß für einen Bart, außerdem war ich ohnehin noch
zu jung, um eine vernünftige Barttracht sprießen zu
lassen. Oder meinst du all das Grau zwischen dem Schwarz? Ich nehme
an, graue Haare und Falten sind eine Art unfreiwillige Maske, die
jeder trägt, der lange genug lebt.«
    Dio nickte und
musterte mein
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