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Römischer Lorbeer

Römischer Lorbeer

Titel: Römischer Lorbeer
Autoren: Steven Saylor
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Eindruck heraus und nicht als die Wahrheit; zumindest
sagen mir das meine Sinne und meine deduktiven Fähigkeiten.
Daraus ergeben sich weitere Fragen: Wenn der Mann kein Mann ist,
und die Frau keine Frau, was sind sie dann? Wer sind sie? Warum
wollen sie als etwas wahrgenommen werden, was sie nicht sind? Wen
versuchen sie zu täuschen und warum? Und warum kommen sie in
das Haus von Gordianus dem Sucher?«
    »Und kennst du
die Antwort auf all diese Fragen?« krächzte mein
Besucher in der Stola.
    »Ich glaube
schon, zumindest auf die meisten. Obwohl mir dein Begleiter immer
noch einige Rätsel aufgibt…« Ich sah den kleinen
Mann, der auf eine Weise lächelte, die ich mir nicht
erklären konnte, bis mir klar wurde, daß er nicht mich,
sondern jemand hinter mir anlächelte.
    Ich drehte mich um und
sah meine Tochter Diana in der Tür stehen.
    Ihre Haltung wirkte
zögerlich, als wäre sie nur kurz stehengeblieben, um
einen Blick in den Raum zu werfen und dann weiterzugehen. Sie trug
den langärmligen Umhang, den Kinder beiderlei Geschlechts zu
tragen pflegen, doch als Dreizehnjährige füllte sie das
Kleidungsstück bereits mit unverkennbar weiblichen Rundungen
aus. Ihr dunkelblauer Umhang verschwamm mit dem Hintergrund des
düsteren Flurs, so daß ihr vom Kohlenrost beschienenes
Gesicht in der Luft zu schweben schien. Ihre Haut hatte die
Zartheit und den rosigen Glanz, den die angemalten Wangen meines
Besuchers auf so unbeholfene Weise nachzuahmen suchten, so daß ihre langen
dunklen Wimpern und ihre dichten Augenbrauen noch deutlicher
hervortraten. Der Widerschein des Feuers glänzte in ihrem
schwarzen, in der Mitte gescheitelten Haar, das ihr über die
Schultern fiel. Ihre braunen Augen musterten uns neugierig und ein
wenig belustigt. Es war erstaunlich, wie sehr sie ihrer Mutter
schon seit jeher geähnelt hatte und wie sie ihr mit jedem Tag
immer ähnlicher wurde. Manchmal schien es mir, als hätte
ich mit ihrer Erschaffung gar nichts zu tun gehabt, so sehr war sie
Bethesdas Ebenbild.
    Sie lächelte
knapp und wollte gerade weitergehen. »Diana«, rief ich,
»komm doch mal bitte kurz her.«
    Sie betrat den Raum,
jenes rätselhafte Lächeln auf den Lippen, das sie von
ihrer Mutter geerbt hatte. »Ja, Papa?«
    »Wir haben
Besucher, Diana.«
    »Ja, Papa. Ich
weiß. Ich habe gesehen, wie Belbo ihnen die Haustür
geöffnet hat. Ich wollte es gerade Mutter erzählen, doch
ich dachte, ich sehe mir sie zunächst noch ein wenig genauer
an.«
    »Genauer?«
    Sie warf mir einen
amüsiert-verzweifelten Blick zu, so wie Bethesda, wenn ich
mich in Binsenweisheiten ergehe. »Nun, Papa!
Schließlich bekommst du nicht jeden Tag Besuch von einem
Eunuchen und einem Mann, der sich als Frau verkleidet hat,
oder?«        
    Sie sah meine Besucher
an und lächelte süßlich.
    Die beiden erwiderten
ihr Lächeln nicht, sondern blickten einander bedrückt an.
»Ich hab’ dir ja gleich gesagt, diese Aufmachung ist
sinnlos. Sogar ein Kind kann sie durchschauen!« grummelte der
alte Mann in der Stola, der jetzt weder seine tiefe Stimme noch
seinen alexandrinischen Akzent weiter verhehlte. Müde schob er
den Umhang von seinem Haupt. Sein silbernes Haar war nach hinten
gekämmt und im Nacken verknotet, seine Stirn gerunzelt und mit
Flecken übersät. Die Hautfalten unter seinem Kinn
zitterten, und er sah auf einmal nur noch lächerlich aus, ein
unglücklicher alter Mann mit angemalten Wangen und
Augen.
    Der Eunuch in der Toga
bedeckte seinen Mund und kicherte beschwipst. »Aber
geschminkt siehst du gut aus!«
    »Das
reicht!« knurrte der alte Ägypter. Er verzog sein
Gesicht, ließ die Mundwinkel hängen und starrte mit
leerem Blick in die Flammen, die Augen voller
Verzweiflung.

2
    »Das ist meine
Tochter Gordiana, die wir Diana nennen.« Ich nahm ihre
sanfte, glatte Hand in die meine. »Diana, wir haben die Ehre,
Dio von Alexandria in unserem Haus zu empfangen: Philosoph, Lehrer,
ehrwürdiges Mitglied der Akademie und zur Zeit oberster
Botschafter des ägyptischen Volkes in Rom.«
    Mit der gelassenen
Würde eines vornehmen Mannes, der es gewohnt ist, unter
Aufzählung seiner Titel förmlich vorgestellt zu werden,
stand Dio da, die Hände vor dem Körper gefaltet, die
Schultern gereckt. Seine Selbstbeherrschung stand in
merkwürdigem Kontrast zu seiner seltsamen Kostümierung;
mit seinem geschminkten Gesicht und seinen weiblichen Kleidern sah
er aus wie der Priester eines orientalischen Kultes - und als genau
das stellte sich sein
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