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Römischer Lorbeer

Römischer Lorbeer

Titel: Römischer Lorbeer
Autoren: Steven Saylor
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den gehetzten Ausdruck eines Mannes, der in
ständiger Angst lebte. Er stand auf und begann nervös in
dem kleinen Zimmer auf und ab zu laufen, während er seine Arme
vor dem Körper umklammert hielt und den Kopf schüttelte.
Trygonion saß mit gefalteten Händen da und beobachtete
ihn mit seltsamer Miene, offenbar zufrieden damit zu
schweigen.
    »Erinnerst du
dich an die Dinge, über die wir auf den Stufen der Bibliothek
gesprochen haben, Gordianus?«
    »Nur an
Bruchstücke, fürchte ich. Doch ich erinnere mich an deine
Eloquenz, wenn du über Wahrnehmung und Wahrheit gesprochen
hast und darüber, daß die Akademie die Lehren von Platon
und den Stoikern keineswegs widerlegt, sondern vielmehr
verdeutlicht hätte -«
    »Daran erinnerst
du dich? Seltsam! Meine Erinnerung an unsere Gespräche ist
eine ganz andere.«
    »Aber was gab es
außer philosophischen Debatten?«
    Dio schüttelte
den Kopf. »Ich erinnere mich nicht daran, mit dir über
Philosophie gesprochen zu haben, obwohl ich das wohl getan haben
muß. All das abstrakte Geschnörkel und hochtrabende
Gerede - ich muß auf dich einen sehr wichtigtuerischen
Eindruck gemacht haben!«
    »Keineswegs

    »Nein, ich
erinnere mich vor allem an die Geschichten, die du erzählt
hast, Gordianus.«
    »Was für
Geschichten?«
    »Über deine
Abenteuer in der großen weiten Welt! Über deine lange
Reise von Rom nach Ägypten, deinen Besuch bei den sieben
Weltwundern und deine Erkundungen in Alexandria. Im Vergleich dazu
erschien mir mein eigenes Leben öde. Du gabst mir das
Gefühl, ich wäre uralt und das Leben hätte mich
links liegengelassen! Während meine Kollegen und ich unter
Sonnenschirmen lagerten und die Prinzipien von Gut und Böse
diskutierten, warst du auf den Straßen unterwegs und trafst
das Gute und das Böse in Fleisch und Blut, nahmst teil am tosenden Drama von
Leben und Tod. Wer war ich, daß ich über die
Unterscheidung von Wahrheit und Fälschung sprach, wenn neben
mir auf der Treppe ein junger Römer saß, der das
Rätsel um die im Rhakotis-Distrikt getötete Katze
gelöst hatte, wegen der die halbe Bevölkerung der Stadt
in Aufruhr geraten war?«
    »Daran erinnerst
du dich?« fragte ich erstaunt.
    »Ich habe es nie
vergessen! Selbst heute noch kann ich die Augen schließen und
hören, wie du, umringt von ehrfürchtig lauschenden
Philosophen und Ladenbesitzern, deine Geschichte
erzählst.«
    »Eine tote Katze
hat einen Volksaufstand ausgelöst?« Trygonion sah uns
mit schweren Lidern skeptisch an.
    »Du warst
offensichtlich noch nie in Alexandria, wo Katzen wie Götter
verehrt werden«, erwiderte Dio knapp. »Vor ein paar
Jahren hat sich ein ähnlicher Zwischenfall ereignet. Der
Schuldige war ein Römer, hieß es jedenfalls. Aber bei
dem politischen Klima, das zur Zeit in Alexandria herrscht,
genügt dem Pöbel jeder beliebige Vorwand, einen
Römer durch die Straßen zu jagen, ob er nun ein
Katzenmörder ist oder nicht.« Er blieb stehen und atmete
zweimal zögernd ein. »Meinst du, wir könnten uns in
ein anderes Zimmer zurückziehen? Hier drin ist es zu
heiß. Die Luft ist ziemlich stickig.«
    »Ich kann Belbo
rufen, damit er ein weiteres Fenster öffnet«, schlug ich
vor.
    »Nein,
könnten wir einen Moment nach draußen
gehen?«
    »Wie du
möchtest.«
    Ich führte sie in
den Garten. Trygonion machte ein großes Getue, schlang die
Arme um seinen Körper und klapperte demonstrativ mit den
Zähnen, während er entschieden unrömisch an den
Falten seiner Toga herumspielte. Dio betrachtete mit abwesender
Miene den Fischteich, bevor er den Blick zum sich verdunkelnden
Himmel hob, ein paarmal tief einatmete und wieder begann, auf und
ab zu gehen, bis er überrascht vor der Statue der Minerva
stehenblieb. Die jungfräuliche Göttin hielt in einer Hand
einen Speer, in der anderen einen Schild. Auf ihrer Schulter hockte
eine Eule, zu ihren Füßen wand sich eine Schlange. Die
ganze Statue war mit so lebensechten Farben bemalt, daß es
schien, als würde sie die Luft anhalten und uns durch das
Visier ihres federbuschgeschmückten Helms mustern.
    »Prachtvoll«,
flüsterte Dio. Trygonion, ganz treuer Diener der Großen
Mutter, gewährte der Göttin der Weisheit nur einen
flüchtigen Blick.
    Ich trat neben Dio und
blickte in das vertraute Gesicht der Statue. »Die einzige
weibliche Person im Haus, die keine Widerworte gibt. Aber auch sie
scheint mir nie zuzuhören.«
    »Sie muß
ein kleines Vermögen gekostet haben.«
    »Wahrscheinlich,
obwohl ich dir den Preis
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