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Robinas Stunde null

Robinas Stunde null

Titel: Robinas Stunde null
Autoren: Alexander Kröger
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nicht besonders gläubig“, antwortete sie. „Wenn es
ihn gäbe, den gütigen Gott, er hätte dieses unendliche Leid
nicht zugelassen.“
„Na, andere sagen vielleicht, er hat Gericht gehalten über
eine verdorbene Welt oder er hat aus dem gleichen Grund den
Antichrist gewähren lassen. Sodom und Gomorrha… Aber so
gut kenne ich mich da auch nicht aus.“
„Danke sagen komme ich ab und zu hierher – nicht Gott,
sondern dem Haus. Es hat mir das Leben gerettet. Tief da
unten war ich, in den Katakomben, als es über uns hereinbrach.
Ich arbeite, arbeitete für das kunsthistorische Institut. – Bleibst
du hier in Wien?“ Bang hatte sie die Frage gestellt und dabei
Robina erwartungsvoll ins Gesicht geschaut.
„Nein“, antwortete diese zögernd. „Zunächst will ich nach
Köln – zum Dom.“ Erst jetzt, da Marie sich beruhigt hatte und
nun gesenkten Kopfes schwieg, wurde sich Robina wieder
ihrer Umgebung bewusst. Sie lehnte sich weit zurück, folgte
mit den Blicken dem Hochaufstrebenden, sie verfingen sich in
den filigranen Verästelungen, hafteten an Figuren und Bildern.
Und wieder fühlte sie etwas von dem Unfasslichen, dem
Sehnen der Menschen, von dem Erhabenen. Und sie dachte
daran, wie wohl die Leute damals vor Ehrfurcht erstarrt sein
mochten, als sie, aus Elendshütten kommend, zum ersten Mal
hinauf blickten. Mussten sie nicht empfinden, direkt in einen
Lichtkorridor zum Himmel zu schauen, inspiriert vom
Höchsten selbst? ,Und noch immer’, dachte Robina, ,zeugt der
Bau vom Streben nach Vollkommenheit, nach Unsterblichkeit
des Menschen, des Menschengeschlechts!’ „Und das muss
weiter so sein!“ Sie sagte es laut.
Sie rüttelte die mutlose Marie. „Hörst du“, drängte sie. „Wir
geben nicht auf!“
Was Robina zu dem veranlasste, was weiter geschah, hätte
sie später nicht zu sagen vermocht. „Höre, Marie.“ Sie fasste
die Frau an den Schultern und blickte ihr in die Augen.
„Komm mit, komm mit mir mit!“
Marie schaute überrascht. „Nach Köln?“
„Nach Köln und weiter. Dorthin, wo wir gebraucht werden.“

Epilog
    Begeistert hatte Marie Robinas Vorschlag, sie auf der Reise zu
begleiten, spontan zugestimmt. Sie blühte förmlich auf, sprühte
über im Erklären und Vorführen der Sehenswürdigkeiten und
kostbaren Schätze des so geschichtsträchtigen Baues. Und
Marie überging geflissentlich irreparable Schäden, und Robina
übersah die einfach. Mehrere Stunden verflossen so wie im
Flug.
    Robina konnte sich nicht mehr vorstellen, dass ebendiese
Frau vor kurzer Zeit verzweifelt in der Bank hockte. So, wie
sie sich nunmehr gab, entsprach es ihrem Habitus. „Ihre Augen
sind blau“, stellte Robina fest.
    Maries Stimmung wurde etwas getrübt, als Robina
kategorisch den Aufbruch auf den nächsten Tag festlegte.
Robinas hatte sich eine nicht beschreibbare kribbelnde
Unruhe bemächtigt, ihr war, als versäume sie
Unwiederbringliches, wenn sie nicht rechtzeitig einträfe. Doch
noch gab es in ihrem Denken kein konkretes Wo. Aber etwas
gab es da, das an ihren Zweifeln zerrte, diese aus dem Hirn zu
verbannen trachtete: EUROCITY. –
    Marie hatte Robina in ihre Wohnung geladen – nicht in jene,
die ihr vor der Katastrophe gehörte. Dort hatten sich Mann und
Tochter aufgehalten, als es geschah…
    Sie hatte sich ein Appartement gesucht und es eingerichtet,
aber wie! Kostbare stilvolle Kleinmöbel – große konnte sie
nicht bewältigen
– vollgestellt mit Vasen, Nippes und
Plastiken von, wie sie stolz behauptete, unschätzbarem Wert.
„Das habe ich sicher gestellt, bevor sich das Schutzkorps um
diese Dinge kümmerte. Milliarden Menschen sind gestorben,
aber es waren leider nicht alle Spitzbuben dabei“, erklärte sie
sarkastisch.
    Marie bereitete einen vorzüglichen Kaiserschmarren, und sie
tranken Gumpoldskirchner Roten. Marie berichtete vom
früheren Leben in Wien und Robina von ihrer Robinsonade.
Einig waren sie sich, dass sie ein gutes Gespann abgeben
würden. Über die weitere Zukunft sprachen sie, so gewollt von
Robina, nicht. –
    Die Absicht, Bratislava zu besuchen, gab Robina auf, sie
ließen Brunn nördlich der Bahn liegen, nahmen sich als
nächstes Ziel Prag vor. Als sie sich auf der Stadtautotrasse
befanden, fuhr Robina langsam; der Hradschm grüßte herüber,
der Turm des Veitsdoms, der berühmte Bau, der ursprünglich
das nächste Ziel gewesen wäre. Robina rief: „Ich grüße dich!“,
reckte den Arm aus dem Fenster und winkte.
„Wolltest du
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