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Robinas Stunde null

Robinas Stunde null

Titel: Robinas Stunde null
Autoren: Alexander Kröger
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nicht…?“, fragte Marie.
    Robina schüttelte nachhaltig den Kopf. Noch sprach sie es
nicht aus, aber EUROCITY hatte den Kampf in ihrem Hirn
gewonnen. „Keine Zeit“, behauptete sie. –
    Marie, in ihrem früheren Leben nicht viel herumgekommen,
erfreute sich an der Landschaft, machte im Vorbeifahren auf
dieses und jenes aufmerksam. Immer wieder trafen sie auf
Tierherden, in der Nähe größerer Siedlungen untermischt mit
einzelnen Exoten, die frei Gesetzten aus den zoologischen
Gärten.
    Robina zollte dem wenig Aufmerksamkeit. Sie fuhr meist
Höchstgeschwindigkeit, zumal sie mit Treibstoff nicht zu
sparen brauchte. Bislang hatten sie bevorratete Tankstationen
an der Strecke angetroffen, aber bis auf drei Fahrzeuge
wiederum keinen Menschen. Einmal kreuzte ein großer
Hubflügler die Piste.
    Robinas Unruhe hatte noch zugenommen, und wenn sie sich
nicht, auch Marie gegenüber, die sich mittlerweile auf den
Dom zu Köln freute, so festgelegt hätte, sie wäre womöglich
von der Route abgewichen und gleich gen Süden abgebogen.
    Als sie in die Stadt einfuhren, erzählte Marie Legenden und
von historischen Geschehnissen, die sich um den Rhein
rankten, von den Nibelungen und den Römern, und sie konnte
sogar ein Lied von der schönen goldgelockten Loreley singen,
die die Fischer betörte und zu Tode brachte. Und Marie wusste
sogar um den uralten Dichter, ein gewisser Heine, der den Text
geschrieben hatte und ein leichtlebiger Bursche gewesen sein
soll. Solche Kenntnisse gingen Robina ab, und sie hörte
aufmerksam zu, sich nicht gewiss, ob Marie sich die
Geschichten aufgehoben hatte, um Robina von der Tristesse
der Stadt und den Gedanken an Schreckliches abzulenken.
Gleichgültig! Letzteres gelang jedenfalls. Schließlich wurde
Robina jetzt erst mit Geschehnissen konfrontiert, die die
tatsächlich Überlebenden bereits irgendwie verinnerlicht
hatten.
    Robina strebte zum Dom.
Einige Male verfuhr sie sich in engen Gassen der Altstadt,
und sie dachte, dass Gegenverkehr sie, mit dem Caravan im
Schlepp, wohl arg in Verlegenheit gebracht hätte. Von dem
einen oder anderen Platz aus aber, am Ende einer
Straßenschlucht, ließ sich immer wieder eine Sicht auf die alles
überragenden Türme erhaschen.
Und dann standen sie auf dem engen Platz.
Robina benötigte einige Minuten der Sammlung, bevor sie
ausstieg.
Als ihre Füße den Boden berührten, fühlte sie sich um all die
Jahre zurückversetzt, bald würde sie Ed, den Bruder treffen…
Doch dann packte die Wirklichkeit zu. ,Was ist so anders? ’,
dachte sie. Nicht die Menschen waren es, die im Bild fehlten,
die Tauben!
Erst als sich Robina umschaute, entdeckte sie ein paar dieser
Vögel, die auf dem Platz herum stolzierten. Kein Vergleich
zum Gewimmel, das seit damals zu ihrem Bild vom Dom
gehörte.
Das Bauwerk erstrahlte in alter Pracht, und wieder griff
Ehrfurcht nach Robina.
„Der ist aber prächtig erhalten, anders als unserer“,
anerkannte Marie, als sie unmittelbar vor dem Portal standen.
Aber erst aus dieser kurzen Entfernung und an Lichtreflexen,
die da und dort am Mauerwerk aufblitzen, sah Robina Eds
Werk: Man hatte dem Bau eine durchsichtige Haut, ein
Kondom gleichsam, übergezogen. Nichts, weder schädliche
Atmosphären noch die Ausscheidungen der Tauben oder die
Kratzwerkzeuge der Touristen würden den Mauern und
Figuren je noch etwas anhaben können. ,Hat Ed Recht
behalten? »Man wird nicht in Ewigkeit die Mittel haben, um
all die prächtigen Bauten dem Zahn der Zeit zu entreißen. Für
das Typische muss man sich entscheiden, dieses mit einmalig
hohen Kosten konservieren, anderes wird, so schmerzlich es
auch sein mag, letztlich nur in Bildern und Hologrammen
überdauern.«
,Hoffentlich, Ed, habt ihr in den Jahren meiner Abwesenheit
noch viel geschafft; denn jetzt kommt es auf Anderes an…’
Sie betraten den Dom.
Verunsichert blieb Robina stehen. Das Aktuelle stritt mit der
Erinnerung. Etwas war anders!
,Unsinn – Robbi, das ist fast ein halbes Jahrhundert her!
Trotzdem!’ Sie ging ein Stück; die Schritte hallten nicht. „Die
Schritte“, sagte sie an Marie gewandt. „Man hört sie nicht.“
Marie blickte verständnislos.
„Hallo!“, rief Robina.
Marie schaute verwundert.
„Haaalloo“, wiederholte Robina, lauter als vordem. „Es hallt
nicht“, stellte sie fest. „Es hallt nicht!“ Robina blickte sich um.
Schnell schritt sie auf die kleine Orgel zu, wollte den Deckel
heben – und ertastete Zentimeter darüber eine gläserne
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