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Ritus

Ritus

Titel: Ritus
Autoren: Markus Heitz
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abgebissen hatte.
    Eric fürchtete sich nicht vor dem, was ihm bevorstand. Er hatte es nur noch niemals zuvor tun müssen und spürte eine unerwartete Beklemmung. Doch Barmherzigkeit würde er sich nicht erlauben; Werwesen kannten sie ebenso wenig.
    Er öffnete die Box und packte die Bestie im Genick, drehte sie um und hielt sie mit dem Bauch nach oben fest. Der Welpe kläffte und jaulte, zappelte und wollte dem Mann entkommen.
    Eric atmete tief ein, zerschnitt die Kehle mit dem Silberdolch und teilte das winzige Herz mit einem Stich; danach drehte er sich rasch um und warf den zuckenden Welpen weit von sich weg in den Tiefschnee. Er hatte Angst davor, ein totes Baby zu sehen. Der Anblick von toten Erwachsenen war schwierig genug zu ertragen.
    Eric bildete sich ein, dass das warme Blut auf seinem Handschuh schwerer wog als sonst. Dennoch fuhr er fort, bis ihm nur noch ein Jungtier fehlte. Es befand sich in dem Loch, gefangen von der Leiche des Mannes, der wie ein Pfropfen im Ausgang steckte.
    Eric ging zu dem Hügel und streckte die Hand nach dem Bein der Leiche aus, als er das Rascheln über sich auf der Erhebung hörte. Ohne zu zögern, sprang er seitwärts, und beinahe zeitgleich krachte es.
    Der erste Schuss verfehlte ihn.
    Doch man hatte nie mehr als einmal Glück.
    Es ratterte, ein kurzer Feuerstoß folgte auf den nächsten. Eric wurde mehrmals in den Oberkörper getroffen, bekam einen Schlag in den rechten Oberarm, und ein unsichtbarer Hammer traf sein linkes Knie und knickte es einfach nach hinten durch. Schreiend fiel er rückwärts gegen einen Baum und sank daran nach unten. Rindenstückchen und Schnee regneten ihm in den Kragen.
    Durch einen dunklen Schleier hindurch sah er, wie eine vermummte Gestalt in Schneetarnkleidung vom Hügel sprang und neben der Leiche des Mannes landete. Sie trug ein AK47-Sturmgewehr, mit dem sie ihn beschossen hatte. Ihre Hand hob ein Funkgerät vor den Schal, sie sagte etwas Unverständliches, und vier weitere bewaffnete Gegner erschienen aus verschiedenen Richtungen auf dem Platz vor dem Bassin.
    Die Gestalt, die auf ihn geschossen hatte, trat an ihn heran, und Eric erkannte ein Paar graugrüne Augen, die ihn gleichgültig betrachteten.
    »Bastard«, sagte eine Männerstimme, und die Mündung des AK-47 schwebte vor seinem Gesicht. Das Magazin wurde gewechselt. Er roch das verbrannte Pulver, spürte die Wärme, die von dem Lauf ausging; und schließlich hörte er das Klicken, mit dem die Zündnadel auf die Patrone traf und den Schuss auslöste. Es wurde gleißend hell, und die Welt verschwand in Feuer.

XXXV.
KAPITEL
    19. Juni 1767, in der Umgebung von Auvers, Kloster Saint Grégoire
     
    »Vater, das Kloster brennt!« Pierre war auf der Anhöhe stehen geblieben und schaute zu Saint Grégoire hinüber, von wo der Feuerschein himmelwärts stieg. Die Flammen waren enorm, als gäbe ihnen mehr als nur trockenes Holz Nahrung. »Ich muss zu Florence!«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, rannte er los, und Jean folgte ihm. Wie seinem Sohn verlieh auch ihm die Liebe Flügel: Sie flogen förmlich über die Wiesen, während ihnen alle möglichen Gedanken durch den Kopf schossen.
    Jean gab Acht, dass er nicht im Dunkeln stürzte – ein gebrochenes Bein oder ein verstauchter Arm hätten ihm gerade noch gefehlt. Eigentlich hatten sie Antoines Leiche abholen wollen, heimlich im Schutze der Nacht, nun bahnte sich aber nach dem Tod Maleskys die nächste Katastrophe an. Sollte er seinen Glauben an Gott, den er um Beistand für die beiden Frauen anflehte, gleich wieder verlieren?
    Als sie das Kloster atemlos erreichten, versuchten eine Hand voll Dorfbewohner bereits, die Flammen zu löschen, aber jeder Mensch mit einigermaßen Verstand erkannte, dass die Hilfe zu spät kam. Die tragenden Balken der Dächer waren schon lange eingestürzt, jede Überlebende war sicherlich von den Dachschindeln und den teilweise eingebrochenen Mauern erschlagen worden. Nach mehr als vierhundert Jahren bestand Saint Grégoire nur noch aus schwarzen, verrußten Steinen sowie dem Glockenturm, der dem Inferno bislang trotzte.
    »Florence!«, schrie Pierre wie von Sinnen und widerstand der Hitze, sprang durch die Pforte und verschwand im vom Feuerschein erhellten Hof. Jean konnte nicht anders, als bei ihm zu bleiben, in der Hoffnung, vielleicht doch Anzeichen von Überlebenden zu finden.
    Das Haus der Äbtissin und alle Gebäude bis auf den Turm waren bereits Opfer der Feuersbrunst geworden. Pierre verharrte mit Tränen im
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