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Ripley Under Water

Ripley Under Water

Titel: Ripley Under Water
Autoren: Patricia Highsmith
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Flur erreichte. Sie hatte die hellblauen Augen und schweren Lider der Menschen in der Normandie, ihrer Heimat. Tom und Héloïse hatten sie gern, weil Madame Annette sie auch gern hatte, wenigstens schien es so. Im Dorf wohnten zwei enge Freundinnen: Madame Geneviève und Madame Marie-Louise, Haushälterinnen wie sie, und an ihren freien Tagen trafen sich die drei reihum zu Fernsehabenden.
    Tom holte die Heckenschere von der Terrasse und legte sie in eine Holzkiste, die für solche Zwecke in einer Ecke stand. Das war bequemer, als den weiten Weg zum Gewächshaus hinten rechts im Garten zu gehen. Er holte ein Baumwolljackett aus dem Schrank in der Diele und vergewisserte sich, daß er seine Brieftasche samt Führerschein dabeihatte. Die französische Polizei liebte stichprobenartige Verkehrskontrollen, für die sie ortsfremde Beamte nahm, die keine Gnade kannten. Wo war Héloïse? Womöglich suchte sie oben auf dem Zimmer ihre Reisegarderobe zusammen. Wie gut, daß sie nicht an den Apparat gegangen war, als die Widerlinge angerufen hatten. Das war sie bestimmt nicht, sonst wäre sie sofort verstört in sein Zimmer gelaufen und hätte Fragen gestellt. Doch sie lauschte nie, und seine Geschäfte interessierten sie nicht. Wenn Héloïse merkte, daß ein Anruf für Tom bestimmt war, legte sie gleich wieder auf, nicht hastig, doch quasi automatisch.
    Héloïse kannte die Greenleaf-Geschichte, hatte bestimmt auch gehört, daß man Tom verdächtigte (oder verdächtigt hatte). Aber sie enthielt sich jeder Bemerkung und stellte keine Fragen. Gewiß hatten sie beide Toms fragwürdige Aktivitäten, seine häufigen Reisen aus Gründen, die er nicht nannte, herunterspielen müssen, damit Jacques Plissot, Héloïse’ Vater, Ruhe gab. Er war Arzneimittelfabrikant, und der Haushalt der Ripleys war zum Teil von der großzügigen Zuwendung abhängig, die Plissot seinem einzigen Kind gewährte. Héloïse’ Mutter Arlène war noch verschwiegener als ihre Tochter, was Toms Tätigkeiten betraf. Sie war eine schlanke, elegante Frau, die sich merklich mühte, den jungen Menschen gegenüber Toleranz zu zeigen; sie gab gern Héloïse und auch sonst jedermann Tips zur Möbelpflege und, ausgerechnet, zur sparsamen Haushaltsführung.
    Diese Dinge gingen Tom durch den Kopf, während er im braunen Renault gemächlich zum Ortszentrum fuhr. Kurz vor fünf an einem Freitag: Antoine Grais müßte eigentlich zu Hause sein, dachte er, außer er hatte in Paris einen langen Tag eingelegt. Grais war Architekt; seine Frau und er hatten zwei Kinder knapp über zehn. Das Haus, das David Pritchard angeblich gemietet hatte, lag hinter dem der Grais’. Tom bog rechts in eine Seitenstraße von Villeperce ab; er konnte sich sagen, er besuche Agnès und Antoine, etwa um hallo zu sagen. Tom war durch die beruhigend vertraute Hauptstraße des Dorfes gefahren, mit der Post, dem Fleischer, dem Bäcker und dem bar-tabac – viel mehr hatte das Dorf auch nicht zu bieten.
    Dort stand das Haus der Grais’, hinter ansehnlichen Kastanien gerade noch auszumachen. Es war rund wie ein Festungsturm und inzwischen malerisch von rosaroten Kletterrosen überwachsen. Zum Haus gehörte eine Garage, deren Tür geschlossen war, was bedeutete, daß Antoine noch nicht aus Paris zurück war und Agnès Besorgungen machte, womöglich mit den beiden Kindern.
    Und da stand das weiße Haus – nicht das erste, sondern erst das übernächste, das Tom sah, durch ein paar Bäume links der Straße. Er schaltete herunter in den zweiten Gang. Die Schotterstraße, gerade breit genug für zwei entgegenkommende Autos, lag jetzt verlassen da. Hier im Norden von Villeperce gab es nur wenige Häuser und mehr Wiesen als Äcker.
    Wenn die Pritchards vor einer Viertelstunde angerufen hatten, müßten sie zu Hause sein, dachte Tom. Wenigstens könnte er nachschauen, ob sie in Liegestühlen am Teich, der von der Straße einsehbar sein sollte, in der Sonne lagen: Grüner Rasen, der hätte gemäht werden müssen, reichte von der Straße bis zu dem weißen Haus; ein Plattenweg führte von der Einfahrt zu den wenigen Stufen einer Verandatreppe. Auf der Straßenseite der Veranda, zum Teich hin, sah er weitere Stufen. Wenn Tom sich recht erinnerte, lag der Großteil des Grundstücks hinter dem Haus.
    Tom hörte Gelächter, von einer Frau, vielleicht auch noch von einem Mann. Ja, es kam aus der Nähe des Teiches, einem Rasenstreifen zwischen Tom und dem Haus, der von einer Hecke und ein paar Bäumen fast verdeckt
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