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Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Titel: Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr
Autoren: Hollow Skai
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an der Wohnungstür klingelten, war Rio gut gewappnet, bat sie herein und tauschte sich mit ihnen aus. Im Nürnberger Amerika-Haus besorgte er sich Literatur über christliche Sekten. Die »konsequente Haltung« der Quäker überzeugte ihn am meisten: »Keine Sakramente und kein Gottesdienst mit einer Autorität, die die Bibel auslegt. Keine Gewalt. Die Bibel ist für die Quäker kein unter ›Inspiration‹ geschriebenes Buch. Mit Gott kann jeder jederzeit reden.« Weil die »Gesellschaft der Freunde« ihm ehrlicher zu sein schien und ihre Bibelauslegung genauer, wollte er nun auch Quäker werden.
    Dazu kam es zwar nie, doch Rio schenkte sich nun den Konfirmationsunterricht und ließ sich auch nicht von der Aussicht auf ein eigenes Tonbandgerät und das Gesamtwerk von Karl May umstimmen: »Ich blieb standhaft, sagte nein und hatte einen Sachschaden von tausend Mark.«
    Dass sein christlich geprägter Pazifismus nicht zuletzt von dem Schriftsteller Karl May beeinflusst wurde, der sich in seinen Romanen immer wieder mit den verschiedensten Religionen befasste, gab er offen zu: »Old Shatterhand hat zwar auch geschossen, aber nur im Notfall und dann auch nur ins Knie seiner Gegner.«
    Die selbst verordnete Bibel- und Karl-May-Lektüre führte nicht nur später dazu, dass Rio die Bundeswehr in Frage stellte – in Religion bekam er nun auch immer eine Eins, und als Bruder Peter ihn mit ins Kino nahm und sie sich einen »christlichen Agitationsfilm« ansahen, Ben Hur , war der so ganz nach seinem Geschmack. Zu Weihnachten wünschte er sich den Soundtrack, machte aber einen Riesenterz, als er den nicht schon vorher hören durfte.
    Seine Eltern waren gleich nach dem Krieg in die CDU eingetreten, weil sie schockiert waren ob all der Greuel, die damals bekannt wurden und für die sie sich als Generation, nicht persönlich, verantwortlich fühlten. Obwohl sie Protestanten waren und lange bevor der U2-Sänger Bono Vox den Katholizismus als den Glam Rock unter den Religionen bezeichnete, zogen Mutter Möbius und ihr jüngster Sohn zu Weihnachten die Heilige Messe der Katholiken vor. »Die Show fand sie einfach besser«, erklärte Rio 1983 die ungewöhnliche Wahl im Gespräch mit Caroline Fetscher. Und er wohl auch. »Rio hat immer richtig Weihnachten gefeiert, mit Weihnachtsbaum und Kerzen und Weihnachtsliedern und Bescherung und Gänsebraten«, erinnert sich sein Eckermann, der Autor Hannes Eyber. Heiligabend sang er manchmal, als sich der »Dschungel« noch am Winterfeldtplatz in Berlin befand, seine Lieblingslieder von den Stones. Und am ersten Weihnachtstag frühstückte er stets vor dem Fernseher: »Erst gab’s den Segen vom Papst, dann Eiskunstlaufen aus Garmisch-Partenkirchen.«
    Es war fast eine Manie. Nach seinem Tod stellte Bruder Peter fest, dass alles, was man von ihm in seinem Zimmer in die Hand nehme, nach buntem Teller unterm Weihnachtsbaum rieche: »Ein Duft von Advent und Vanille, von Orient und Christfest.«

    Duo infernale — R.P.S. Lanrue und Rio Reiser

05 I Want To Hold Your Hand
    Das Klavierspiel hatte Rio schon von klein auf fasziniert. Als die Familie von Traunreut nach Mannheim umzog, weil Vater Möbius einen Job bei Zewa erhalten hatte, war er ein paar Minuten mit dem Klavier seiner Mutter in der bereits leeren Wohnung allein gewesen: »Jetzt stand es vor mir, wie ein fremdes, nacktes Tier. Ich berührte es, streichelte über seine Saiten. Da gab es einen Klang von sich, den ich noch nie gehört hatte, angenehm und geheimnisvoll.«
    Rio war – erotisch – verzaubert, doch es dauerte noch Jahre, bis Mutter Erika seinem Drängen nachgab und er endlich Klavierunterricht erhielt: »Vielleicht isser ja begabt.«
    Die Zeit nutzte er, indem er dirigierte, wenn er allein zu Haus war. Dann stand er am offenen Fenster und schwenkte den Taktstock, während aus den Lautsprechern Händels Halleluja ertönte. »Ich war ein guter Dirigent«, erinnerte er sich später, »aber die Nachbarn wussten das nicht zu schätzen.«
    In unregelmäßigen Abständen veröffentlichte er seine selbst getippte Zeitung Quetzacoatl , die er nach jenem weißen Gott benannt hatte, den die Azteken zurückerwarteten, als der Eroberer Hernando Cortés auftauchte und das Land im Namen der spanischen Krone unterjochte. Und als er – die Familie war mal wieder umgezogen – das Nürnberger Melanchthon-Gymnasium besuchte, auf dem auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Hugo Distler, die Gebrüder Enzensberger und der Schlagersänger
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