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Riesling zum Abschied

Riesling zum Abschied

Titel: Riesling zum Abschied
Autoren: P Grote
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das Ziel ihrer Träume gewesen sein.
    Kreisrund und hell stand der Mond am Himmel, Wolkenschleier zogen vorüber. Thomas wäre gern unten am Rhein |12| gewesen, ein Glas Wein in der Hand, und hätte das Glitzern des Lichts auf den Wellen genossen, aber er war zu müde, bis ans Ufer zu laufen. Außerdem war der Weinstand bestimmt längst geschlossen. Er sah das Schild an einem Mast:
     
    Weinproben, Flaschenwein, Verkauf   – Versand
     
    Alles hier in Geisenheim war Wein, kam mit dem Wein, geschah durch den Wein und hing vom Wein ab. Vom Küchenfenster der WG sah er den Rothenberg, der sich nach dem langen Winter längst mit frischem Grün überzogen hatte. Auch sein Leben drehte sich um nichts anderes, seit er Köln hinter sich gelassen hatte.
    Die Straße machte einen Bogen nach links, das Licht der Schaufenster erleuchtete die Fußgängerzone. Einen Bürgersteig gab es nicht, die Autos standen dicht an den Hauswänden. In dieser Nacht wirkte alles leblos und ungenutzt. Eine solche Nacht hatte Thomas in den anderthalb Jahren in Geisenheim noch nicht erlebt. Aber in einer solchen Nacht war er auch noch nie durch die Stadt gegangen, weder nach einem derartig schrecklichen Ereignis noch allein. Obwohl es ein Umweg war, ging er am Bach hinunter zum Dom und folgte dem Plätschern des Wassers.
    Wäre Alexandra einfach aus Manuels Leben verschwunden, hätte sich an einen wohlhabenderen Kandidaten rangemacht, wäre er froh gewesen und Manuel einiges erspart geblieben. Außerdem hätte er die Chance gehabt, etwas über sich selbst zu lernen: Falschheit zu erkennen, seine Reaktionen darauf und seine Schwäche zu begreifen. Man war zu einem Teil immer selbst schuld! Nun aber würde sich dieser Widerspruch niemals auflösen, die Trauer würde die Erkenntnis unmöglich machen, die Chance war vertan. Alexandra gab es nur noch in der Vergangenheit, sie war das Opfer, damit wurde sie heilig gesprochen – und er, Thomas, sah sich zum Schweigen verdammt, denn über Tote sprach |13| man nicht schlecht. Wieso eigentlich, wenn sie es verdient hatten? Aber seine Meinung teilte kaum jemand, und allen Unbeteiligten war es egal.
    In der Rheingau Apotheke hing ein Plakat mit dem Produkt des Monats. Einen Wein des Monats konnte Thomas sich durchaus vorstellen, aber ein Produkt des Monats – aus einer Apotheke? Kopfschmerztabletten? Nasentropfen oder Insulinspritzen? Na dann schon besser Kondome, aber die gab’s in der Drogerie, und schon wieder dachte er an Alexandra und daran, dass er den Eindruck gehabt hatte, dass sie nie wirklich scharf auf Manuel gewesen war. Oft war sie abends nicht bei ihm geblieben und hatte vorgeschützt, noch lernen, einen Vortrag oder eine Präsentation ihrer Arbeitsgruppe vorbereiten zu müssen. Sie hatte sich dann von Manuel heimfahren lassen und ihn anschließend nach Hause geschickt oder war selbst ins Auto gestiegen oder hatte sich ein Taxi kommen lassen. Manuel, der Idiot, hatte sogar dafür bezahlt.
    Regine, der Frau in der WG, war das natürlich aufgefallen, und vorsichtig wie sie war, hatte sie ihre Kritik in Verwunderung gekleidet. Sie kannte Thomas’ Einstellung Alexandra gegenüber und hatte ihn mehrmals gefragt, woher er die Frechheit nahm, derart negative Äußerungen über Menschen von sich zu geben. Ihr gefiel überhaupt nichts, was den geringsten Anschein von Radikalität erweckte, was sich absolut anhörte und sich nicht zurücknehmen ließ; alles das, wofür man sich nicht entschuldigen konnte, war ihr zuwider. »Schwamm drüber« war einer ihrer Lieblingsausdrücke, und es ärgerte Thomas maßlos, wenn sie meinte, dass schließlich jeder selbst wissen müsse, was er tue.
    Für einen Moment blieb Thomas vor dem Fotogeschäft stehen. Hochzeitsbilder waren der Renner: Ein überglückliches Brautpaar vor einem vom Wein überrankten Torbogen lachte ihm entgegen. Das würde Manuel nun erspart bleiben. Der einzige Moment, an dem Thomas seinen Freund hatte zweifeln sehen, war der gewesen, als Alexandra |14| erklärt hatte, dass sie in Weiß heiraten wolle, und Thomas erinnerte sich an Manuels Augen. Es war ein sehr kurzer Blick gewesen, ein Blick, in dem Zweifel aufgetaucht waren, Angst, als würde er den Boden unter den Füßen verlieren, als wenn er Thomas hätte fragen wollen, ob es das war, was er meine. Alexandra hatte es bemerkt, ihre Augen waren denen von Manuel gefolgt, und sie fand sich von Thomas’ Blick gefangen. Sie hatte gespürt, dass er ihr misstraute, und ihre Augen hatten sich
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