Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Riesling zum Abschied

Riesling zum Abschied

Titel: Riesling zum Abschied
Autoren: P Grote
Vom Netzwerk:
die Blicke, die ihn verunsicherten, besonders wenn er neben Manuel den Hörsaal betrat.
    Der Besuch im Supermarkt, wo er Aufschnitt fürs Frühstück kaufen wollte, war angenehmer, hier wechselte das Personal mit den Minijob-Verträgen so häufig, dass niemand mehr einen Kunden kannte. Er kaufte Käse und gekochten Schinken, Regine bestand darauf, und nahm eine Packung aus dem Kühlregal, um das Kleingedruckte zu |24| lesen. Wie leicht vergriff man sich, packte Kunstkäse in den Einkaufswagen und kam mit Pseudo-Schinken nach Hause. Man musste schon genau hinsehen. Nichts war so, wie es aussah, sogar beim Wein: Wenn Riesling auf dem Etikett stand, konnten durchaus fünfzehn Prozent Weißburgunder in der Flasche sein. Das, was er für Betrug hielt, war legal.
    Als ihn das Mädchen an der Kasse anblickte, stand schon wieder diese verdammte Frage im Raum. Der Gedanke an den Mord ließ ihn nicht los, seit sie am Dienstag davon erfahren hatten. Es fiel Thomas schwer, sich auf seine Angelegenheiten zu konzentrieren, auf das Studium, auf die Vorlesung in Mikrobiologie heute, er hatte nicht einmal die der letzten Woche wiederholt. Er durfte den Anschluss nicht verpassen. Er musste den Spritzplan für ihr Weingut aufstellen, auch den für seine Arbeitsgruppe. Er hatte fest mit Regines Hilfe gerechnet und nicht bedacht, dass ihr Vater wie immer mit alter Technik auf der Stelle trat.
    Thomas hängte sich die Tasche auf den Rücken und stemmte sich in die Pedale. Manuel würde in seinem Zustand in Bad Dürkheim sicher auch keine Hilfe sein. Ob es gut war, ihn mit Arbeit zu überschütten? Sie hatten ihren eigenen Versuchsweinberg angelegt, genau nach Geisenheimer Vorbild, nur dass sie zu Hause völlig auf sich gestellt waren.
    Dieser verfluchte Mord. Wer kam auf eine so beknackte Idee? Was hatte Alexandra getan, gewusst oder unterlassen, dass jemand sie aus dem Weg räumen wollte?
    Thomas sah den Wagen im letzten Moment aus der Einfahrt kommen. Er riss an den Bremsen, die Tasche rutschte vom Rücken, die Brötchen kullerten über den Asphalt – aber das Rad stand. Eine Bleistiftlänge trennte ihn von der Motorhaube des Wagens. Die Fahrerin ließ wenig gerührt die Scheibe herunter, entschuldigte sich kurz – und fuhr die Brötchen platt. Thomas starrte ihr nach   ... das war heute nicht sein Tag   ...

|25| 2
    Heute stand sie zufällig mal als Erste in der Warteschlange und hätte sofort auf die Fähre fahren können, dummerweise sprang jetzt der verflixte Motor nicht an. Hinter ihr wurde gehupt, der Einweiser auf der Fähre fuchtelte in der Luft herum, er sorgte für Stress. Erst nachdem sie den Schlüssel aus dem Zündschloss gezogen und wieder hineingesteckt hatte, entschloss sich der Computer – ein Auto konnte man ihren neuen Peugeot längst nicht mehr nennen – aufzuheulen. Natürlich fuhr sie zu schnell über die Ladeklappe, hatte einen kurzen Aufsetzer und hielt drei Zentimeter vor dem Einweiser, der nicht einen Schritt zurückgewichen war. Er dachte sicher was Blödes über Frauen, doch das war Johanna Breitenbach schnuppe. Sie gab den Blick genauso unverfroren zurück. Der Mann musste neu sein, die meisten Einweiser kannte sie vom häufigen Übersetzen, schließlich nutzte sie die Fähre zwischen Bingen und Rüdesheim mehrmals pro Woche, um zur Fachhochschule nach Geisenheim zu kommen, wo sie, wie auch an der FH in Bingen, über Umweltschutz dozierte. Im letzten Winter, als der Fährverkehr kurzfristig eingestellt worden war, hatte sie einen riesigen Umweg über Mainz und Wiesbaden in Kauf nehmen müssen.
    Johanna stieg aus und stützte sich auf die Reling neben der Schranke. Was hinter ihr geschah, interessierte sie nicht, vor ihr lag der Rhein und glänzte kalt wie flüssiges Silber in |26| der Morgensonne. Es war kühl für die Jahreszeit, der Wein war vom Austrieb her erst im Fünf-Blatt-Stadium, wie es ihre Kollegen nannten, dafür war das Licht grandios, und Johanna hätte auch eine Überfahrt von einer Stunde in Kauf genommen, denn das Panorama der Rheinlandschaft war gewaltig. Nach dreißig Kilometern in Ost-West-Richtung knickte der Strom genau am Binger Loch nach Norden ab und brach zwischen Taunus und Hunsrück durch, um seinen bisherigen Lauf in Richtung Norden fortzusetzen. Die rechtsrheinischen Weinterrassen oberhalb von Rüdesheim boten nicht nur einen strahlenden Anblick, sie erinnerten Johanna auf angenehme Weise an ihre Arbeit. Seit einem Jahr versuchte sie, den angehenden Önologen der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher