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Riesling zum Abschied

Riesling zum Abschied

Titel: Riesling zum Abschied
Autoren: P Grote
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Hochschule und aufgeschlossenen Winzern sowohl im Rheingau wie auch auf der Rheinhessischen Seite einen wirtschaftlichen Umgang mit Energie zu vermitteln.
    Die fossilen Brennstoffe gingen zu Ende, die Zeit wurde knapp, die Preise wurden ins Uferlose gesteigert, die Länder würden sich gegenseitig überbieten, und wer sich nicht rechtzeitig umzustellen verstand, würde als Sklave in den Händen der Energiekonzerne enden und untergehen. Und die Klimaerwärmung nahm mit der Umweltverschmutzung zu. Dass die Entwicklung eine andere Richtung nehmen würde, hielt sie für ausgeschlossen. In der Hinsicht war sie pessimistisch. Nach zwanzig Jahren als Umweltingenieurin traute sie weder den Regierungen noch den Konzernen zu, ihr Konzept zu ändern und sich auf neue Bedingungen einzustellen.
    Ihre Zeit als Dozentin hatte ihr Vertrauen in die Zukunft nicht gestärkt, im Gegenteil. Sämtliche deutschen Maßnahmen zum Schutz der Umwelt in den vergangenen zwanzig Jahren waren durch den Dreck, den Chinas Wirtschaftswachstum innerhalb von sechs Monaten hervorrief, aufgehoben worden. Jede weitere Krise diente sowohl den Politikern wie auch der Wirtschaft als Vorwand, auf Wachstum zu setzen und weiterzuwursteln wie bisher. Dabei pinselten |27| die Marketingstrategen alles »grün« an, äußerst »nachhaltig« natürlich, aber nur, um ihre Mitmenschen noch mehr zu verwirren. Die Strategen besaßen sicher in kühleren und hoch gelegenen Gegenden ihre Villen, ihre Top-Restaurants mit der entsprechenden Weinkarte und den Golfplätzen, wo die unterirdisch verlegte Bewässerung das
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saftig machte. Waren diese Menschen nur dumm, oder waren sie bösartig? Johanna hielt das Letztere für wahrscheinlicher, anders konnte sie sich den langsamen Atomausstieg und den halbherzigen Ausbau von erneuerbaren Energien nicht erklären. Oder trieb sie die Geldgier? Waren sie nur überfordert?
    Wahrscheinlich war von allem etwas dabei, und das war eine gefährliche Mischung. Das ließ ihr die Mitmenschen fremd werden, auch die hinter dem Lenkrad ihrer Autos auf der Fähre. Außer ihr war nicht einer ausgestiegen, um den Morgen und das Übersetzen über den wunderbaren Strom an der frischen Luft zu genießen, mit Blick auf die grünen Weinberge und dem Wind im Gesicht.
    Sollten sie sich selbst kaputt machen. Was interessierte sie die Zukunft? Sie wurde bald fünfzig, hatte keine Kinder, um deren Aussichten sie sich hätte sorgen müssen, und gegen die zunehmende Erderwärmung hatte sie eine Klimaanlage im Wagen. Immer häufiger entdeckte sie an sich einen Zug zum Zynismus. Sie geriet in diesen Sog, aus dem sie sich nicht würde befreien können, sie haderte mit ihrer Rolle als Dozentin, manchmal sogar, wenn sie vor den Studenten stand.
    Sie predigte gegen Mauern. Ihre jungen Zuhörer nahmen es zwar mehr oder weniger an, aber spätestens im Beruf würden die viel zitierten Sachzwänge sie in ihren Weingütern auf den Boden der Tatsachen zwingen, und die hießen Kosten und Profit. Johannas Zynismus hatte sie sogar schon einmal so weit gebracht, für die Gegenseite zu arbeiten. Dabei war sie kläglich gescheitert und ihre Ehe in die Brüche gegangen. Trotzdem hatte sie sich nicht von Carl scheiden lassen. Die Wunden waren verheilt, das Vertrauen |28| war wieder gewachsen, und ihr stand Carl von allen Menschen am nächsten. Er war schlicht von seinem Wesen her und ohne Arg. Vielleicht war das die Voraussetzung, dass sie sich auf ihn verlassen konnte. Und er tat, was er sagte. Aber da gab es noch Markus. Früher hätte man jemanden wie ihn einen jugendlichen Liebhaber genannt. Er sah gut aus, er war intelligent, er war wirklich ein guter Liebhaber. Aber sie liebte ihn nicht, sie war nicht einmal in ihn verliebt.
     
    Johanna spürte das Vibrieren des Schiffskörpers, dann hörte sie das übliche Schrammen der Ladeklappe über den Beton der Rampe. Die Fähre legte ab, nahm Fahrt auf, und jenseits der Mole schlingerte sie leicht. Trotz der frühen Stunde herrschte viel Verkehr auf dem Rhein, und hier, vor der engen Fahrrinne des Binger Lochs drängten sich die Schlepper und Schubeinheiten zusammen, nachdem sie die breiteste Stelle des Rheins passiert hatten.
    »Nur eine Person?«, fragte plötzlich ein Mann hinter ihr, und Johanna wandte sich rasch um. »Das ist doch Ihr Auto, nich?« Der Mann mit der Geldtasche vor dem Bauch zeigte auf den blauen Peugeot. Es war der Kassierer. Als Johanna nickte, verlangte er »dreieurofumzich«.
    Ein Osteuropäer, dachte
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