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Rheingau-Roulette

Rheingau-Roulette

Titel: Rheingau-Roulette
Autoren: Sia Wolf
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Haltung, die sich dunkel und bedrohlich über ihr aufbaute, waren tatsächlich beängstigend.
    „Glaube mir, ich habe ihr Angst machen können.“
    So schnell, wie er die verschreckend angsteinflößende Haltung einnehmen konnte, so schnell war wieder der normale Hannes aus ihm geworden.
    „Wie?“
    Er schwieg. Das Schweigen hing in der Luft und Alexandra spürte die Wut auf ihn, die langsam über ihre Furcht und die Unsicherheit überhand gewann.
    „Herrgott Hannes, lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen. Ich will wissen, wie du ihr eine solche Angst einjagen konntest, dass sie tatsächlich ihre komplette Einrichtung kaputt macht.“
    Er atmete tief durch und schob mit seinem Fuß einen imaginären Krümel auf dem Boden hin und her. Dann gab er sich einen Ruck und sagte leise: „Ich kenne Judith jetzt lang genug. Ich weiß, wie sie funktioniert. Und ich weiß, welche Knöpfe ich drücken muss, damit sie Angst entwickelt.“ Er zögerte erneut. „Richtige Angst. Elementare Angst. Angst, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren. Eine Angst, die es ihr unmöglich macht, sich gegen den Auslöser zur Wehr zu setzen.“ Er machte eine Pause. „Ich war bewaffnet.“
    „Du warst bewaffnet?“ Entgeistert sah Alexandra ihn an.
    „Und sie hatte Angst davor, dass ich sie einweisen lasse.“
    „In die Psychiatrie?“
    Er nickte. „Sie war als Jugendliche in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Sie hat damit keine guten Erfahrungen gemacht. Die ganze Familie ist extrem krankhaft veranlagt. Judith hat Angst vor ihrem Vater, genauso wie ihre Mutter, die sie verachtet. Zu ihrer kleinen Schwester hat sie nur unregelmäßig Kontakt und sie verstehen sich nicht besonders gut.“ Er wanderte wieder hin und her und blieb dann vor ihr stehen.
    „Die Geschichte mit der Angst... Ich war bewaffnet. Ich bin mit einer Axt bei Judith aufgetaucht. Judith hatte mir erzählt, dass ihr Vater eines Nachts einen Tobsuchtsanfall hatte. Er war Chefarzt in einer orthopädischen Klinik. Judiths Mutter hatte ihm eine Szene gemacht, weil er ein Verhältnis mit einer Assistenzärztin hatte. Und es gab einen so heftigen Streit, dass ihr Vater das Schlafzimmer mit einer Axt zertrümmert hat. Judith war dreizehn und ihre Schwester zehn. Sie haben alles  mitgekriegt. Judith hat sich in den Streit eingemischt. Ihr Vater hat daraufhin ihr Zimmer ebenfalls zertrümmert und die Familie anschließend mit der Axt bedroht. Judith ist dabei mit einem Küchenmesser auf ihren Vater losgegangen.“
    „Und dann?“
    „Und dann kam Judith in die Psychiatrie, weil ihr Vater als angesehener Chirurg dafür gesorgt hat. Und ihre Mutter hat nichts dagegen getan.“ Er kniete sich vor sie hin.
    „Alex. Ich wusste das. Ich wusste, was ich tat, als ich mit der Axt bei ihr erschien. Und was es auslösen könnte. Um genau zu sein, ich wollte ihren Zusammenbruch auslösen. Aber ...“, er raufte sich die Haare, „aber ich bin nicht stolz darauf. Ich fühlte mich wie in einer anderen Welt, ich hab ein Ventil gebraucht. Jahrelang hat sie mich kontrolliert und drangsaliert. Sie hat meine Beziehungen beeinflusst und zerstört, ohne, dass irgendjemand diese Frau stoppen konnte. Und nun auch noch Frank ...“ Er rang mit den Worten, seine Stimme zitterte. Traurig starrte er auf den Boden.
    „Ich habe kein Mitleid mit Judith. Und glaub mir, wenn ich eine andere Möglichkeit gesehen hätte, sie aus dem Verkehr zu ziehen, wäre ich froh gewesen. Aber ich konnte nicht anders handeln, als ich es getan habe. Dieser Frau musste Einhalt geboten werden. Und da es die Polizei nicht schafft, musste ich es selber tun. Ich musste es tun, sonst wäre ich verzweifelt.“
    Er verstummte. Alexandra strich ihm leicht über die Haare. Er hatte Recht. Wieder einmal. Sie hatte die Todesangst nicht vergessen, die Judith in ihr ausgelöst hatte. Und da waren noch Stella und ihre Kinder, die unter den Folgen von Judiths Handeln leiden mussten.
    „Warst du mit Judith verheiratet?“
    „Hat sie das erzählt?“
    „Ja. Das, und dass ihr ein gemeinsames Kind habt.“
    Er schnaubte erschöpft. „Gelogen. Wie das meiste, was sie erzählt. Wir haben auf einem Jahrmarkt Lose gezogen und ein paar billige Trostpreise gewonnen. Sie hat sich einen Ring mit einem kitschig bunten Stein ausgesucht. Das war fortan ihr Verlobungsring. Und später hat sie Freundschaftsringe gekauft. Am Anfang fand ich es noch witzig. Später nicht mehr. Und das Kind... Das ist das, was sie allen Frauen erzählt hat.
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