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Requiem

Requiem

Titel: Requiem
Autoren: Dirk Kruse
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Oberkörper waren hinter dem Politikteil der ZEIT vollständig verborgen. Nur die schlanken Finger, die die Wochenzeitung hielten, schauten dahinter hervor. Weil die CD des Esbjörn Svensson Trios verklungen war und er gerade einen langen Artikel über Nicolas Sarkozys Kampf gegen die Front National fertiggelesen hatte, nahm er das Geräusch des Regens wieder wahr. Leise raschelnd faltete Beaufort den Zeitungsteil zusammen und ließ ihn zu den anderen auf den Boden gleiten. Mit stiller Andacht schaute er zu Anne Kamlin hinüber, die keine drei Meter von ihm entfernt auf der Couch lag und in die Brigitte vertieft war. Auf ihrer Stirn zeigten sich Fältchen der Konzentration, die langen dunklen Haare flossen in Kaskaden über das Kissen. Ihre Schönheit berührte ihn jedes Mal aufs Neue. Als er sie lange genug angesehen hatte, ohne dass Anne davon Notiz nahm, erhob er sich, tat ein paar Schritte zu ihr hin und setzte sich ans Fußende. Er streichelte ihre Beine, sie ließ die Zeitschrift sinken und lächelte ihn an.
    »Du hast ja ganz kalte Füße. Soll ich dich zudecken?«
    »Ja, bitte. Kein Wunder, dass ich friere, bei dem Mistwetter.«
    Beaufort angelte die irische Wolldecke aus dem Korb neben dem Sofa und breitete sie über Anne.
    »Danke. Du bist ein Schatz«, sagte Anne zärtlich.
    »Der perfekte Mann erfragt eben jeden Wunsch der Frau und erfüllt ihn dann«, erwiderte Beaufort mit einer Mischung aus Ironie und Selbstbewusstsein.
    »Ich würde sagen: Der perfekte Mann erfüllt jeden Wunsch der Frau, ohne groß zu fragen. Eben weil er spürt, was sie gerade will«, gab Anne zurück. Sie neckten sich gern mit Repliken dieser Art.
    Beaufort dachte kurz nach.
    »Nein. Der wirklich perfekte Mann erfüllt der Frau jeden Wunsch, selbst solche, von denen sie noch gar nicht weiß, dass sie sie hat.«
    »So, und was wäre mein geheimer Wunsch?«
    »Du möchtest, dass ich mich auf dich lege, um dich zu wärmen.«
    Damit glitt er auf die Journalistin, und die beiden schmusten und schnäbelten, bis es ihnen auf der schmalen Couch zu unbequem wurde. Beaufort stand auf und ging hinüber zur Fensterfront, während Anne ihre Lektüre wieder aufnahm. Unter ihm platschten die Regentropfen in die träge dahinfließende Pegnitz und zerrissen die Wasseroberfläche tausendfach mit Einschusslöchern, die sich gleich wieder schlossen. Die Kaiserburg war im Dunst der tiefhängenden Wolken kaum noch zu erkennen. Der Nachmittag war so dämmerig, dass etliche Fenster in der Altstadt erleuchtet waren.
    »So ein trüber Tag. Es gießt wirklich in einer Tour.«
    »Ausgerechnet am Sonntag. Sollen wir nicht trotzdem spazieren gehen? Ich könnte ein bisschen frische Luft vertragen«, kam es hinter der Zeitschrift hervor.
    »Ist nicht dein Ernst, oder? Bei dem Wetter jagt man doch keinen Hund vor die Tür.«
    »Ein wenig Bewegung könnte dir nicht schaden. Du hast über den Winter ganz schön zugelegt.«
    Beaufort betastete heimlich seinen Hüftspeck und zog eine Schnute. Das war ein Thema, das er lieber vermied. Er liebte Süßigkeiten, und vielleicht hatte er es diesen Winter mit Elisenlebkuchen, Schokolade und Plätzchen wirklich etwas übertrieben. Aber gerade jetzt sehnte er sich nach einem Stück Kuchen und einer Tasse Cappuccino.
    »Was liest du da eigentlich so Faszinierendes in deiner Frauenfachzeitschrift?«, versuchte er abzulenken. »Etwas über die aktuelle Sommermode, oder gibt es neue Pilates-Übungen für einen strafferen Po?« Den ironischen Seitenhieb auf die leckersten Rezepte, um an Pfingsten die Familie zu verwöhnen, verkniff er sich. Das Thema Essen wollte er ja gerade umgehen.
    »Idiot«, brummelte sie, »du weißt genau, dass ich jeden Tag mehrere Zeitungen lese, da wirst du mir doch noch ab und zu die Brigitte gönnen.«
    Beaufort grinste – Mission erfüllt.
    »Und wenn du es wirklich wissen willst«, fuhr Anne fort, »ich lese einen sehr interessanten Artikel über die Frauenquote. Die finde ich eigentlich blöd. Aber wenn man hier erfährt, dass nur 7,5 Prozent der Aufsichträte in Konzernen und Banken weiblich sind, fängt man an, anders über die Finanzkrise zu denken.« Sie legte die Zeitschrift auf den Couchtisch. »Ich plädiere für die Frauenquote in der Fußballreportage. Außer dieser schrillen Töpperwien darf wirklich keine Frau ein Bundesligaspiel in der ARD kommentieren.«
    Genau das war momentan der größte berufliche Wunsch der Journalistin. Sie arbeitete seit Monaten an einer Karriere als
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