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Requiem

Requiem

Titel: Requiem
Autoren: Dirk Kruse
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wie er sich ausdrückte. Das war eine diplomatische Meisterleistung, denn Ertl und Kamlin hatten seit der Aufklärung der Augustinerhof-Morde zwar Burgfrieden miteinander geschlossen und duzten sich sogar, doch war das primär ihrer Liebe zu Beaufort geschuldet und beruhte nicht gerade auf gegenseitiger Sympathie. Besonders gut leiden konnten sich der Justizsprecher und die Journalistin noch immer nicht. Und nicht einmal sich selbst würden die beiden eingestehen, eifersüchtig aufeinander zu sein.
    Am Vorplatz angekommen, trennten sich die Männer. Ertl schlüpfte unter der Absperrung hindurch und verschwand in der Ehrenhalle, Beaufort gesellte sich zu Anne, die gerade die Frau mit dem Hund interviewt hatte.
    »Und? Was sagen die Leute?«, fragte Beaufort.
    »Nicht viel. Einige haben sich wie üblich verdrückt, als ich mit dem Mikrofon auf sie zukam. Und die, die mir geantwortet haben, sind erst dazugekommen, als die Polizei schon da war. Leider war derjenige, der die Leiche entdeckt hat, nicht darunter. Wenn ich nicht bald einen offiziellen O-Ton bekomme, reicht das nicht für einen Beitrag. Hast du den Fotoapparat gefunden?«
    Beaufort reichte ihn Anne. Er zeigte auf die Gruppe an der Ehrenhalle: »Schau mal, wer dazugestoßen ist.«
    »Ach herrje, Ekkehard! Dann muss es ja was ganz Besonderes mit der Leiche auf sich haben, wenn der sich hierher bemüht. Also, wenn dein lieber Freund jetzt die Pressearbeit übernimmt, sehe ich schwarz für mein Interview.« Anne schaute gefrustet.
    »Im Gegenteil. Er wird dir eines geben, sogar ein exklusives«, Beaufort schaute sich um, »denn von der Konkurrenz ist ja immer noch niemand da.«
    »Ostern ist doch schon um. Weshalb die Geschenke?«, fragte Anne skeptisch.
    »Weil ich ihn dazu überredet habe. Jetzt sei nett zu ihm, da kommt er nämlich schon. Und übrigens: Der Tote ist ein Neonazi. Und es könnte Mord gewesen sein.«
    »Echt? Dann wird das der Aufmacher in den Nachrichten.« Trotz der schlimmen Neuigkeiten zeigte Anne die beinahe freudige Erregung, die Journalisten manchmal packt, wenn sie eine Story wittern.
    Der Justizsprecher war an die Absperrung getreten und begrüßte die Journalistin mit einem kurzen Händedruck.
    »Wie sieht es da hinten aus?«, fragte Beaufort.
    »Schlimmer, als ich dachte. Es ist eine regelrechte Inszenierung des schlechten Geschmacks. Aber seht es euch selbst an«, antwortete Ertl ungewohnt generös.
    Frank und Anne schauten sich mit großen Augen an, schlüpften dann aber schnell unter dem Plastikband hindurch, ehe er es sich noch anders überlegte, und folgten ihm. Zu dritt betraten sie die Ehrenhalle. In der Ecke lag eine leblose Gestalt auf dem kalten Zementboden ausgestreckt. Von dem Toten waren nur der Kopf und die Füße zu sehen, die in Turnschuhen steckten. Über den Rest des Körpers war eine blutige Hakenkreuzfahne gebreitet. Als die beiden näher herangingen, erkannten sie, dass es ein noch junger Mann war. Er war kahl, außer Augenbrauen und Wimpern hatte er kein einziges Haar auf dem Kopf. Auf die Oberlippe war mit schwarzem Filzstift ein Hitlerschnauzer gemalt. Beaufort schluckte und suchte Annes Hand. Sie drückte sie wortlos. Ertl war hinter die beiden getreten.
    »Wenn es nicht so traurig wäre, würde ich sagen: geschmackloseste Nazi-Operette. Ursprünglich war der Tote komplett in die Fahne eingewickelt. Soll ausgesehen haben wie eine Mumie anno ’45. Die Spurensicherung hat ihn dann ausgepackt.«
    Die Sätze hallten laut durch die Halle. Der burschikose Ton war gar nicht Ekkis Art, aber das war wohl seine Strategie, um mit diesem Bild der Gewalt umzugehen. Annes Vorgehensweise war gesteigerte Professionalität, sie bat Ertl um ein Interview. Alle drei gingen weg von der Leiche in eine ruhige Ecke.
    »Du hast Verständnis dafür, dass du das hier nicht ungefiltert an die Öffentlichkeit geben kannst«, bat Ekki Anne. »Ich werde nur kurze Antworten geben.«
    Sie die Leiche sehen zu lassen, war ein strategisch kluger Schachzug des Justizsprechers gewesen. Jetzt stand sie in seiner Schuld, und er lud ihr die moralische Verantwortung auf, sich weder in detaillierten Schilderungen zu ergehen noch Spekulationen über Opfer und Täter anzustellen.
    »Können Sie beschreiben, wo wir sind und was hier zu sehen ist?« Im Interview siezte sie Ertl natürlich.
    »Wir befinden uns in der Ehrenhalle am Nürnberger Luitpoldhain. Hier wurde eine Person männlichen Geschlechts tot aufgefunden.«
    »Wie haben Sie die Leiche
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