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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
Autoren: Marianne Reuther
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hörte Gerd sagen:
    „Ein Michailowitsch Duda erteilt Befehle und Anweisungen über Lautsprecher und Monitore und das, wie er bekannt gibt, im Auftrag einer Familie Raskolnikoff. Dialoge sind nicht herstellbar, man kann keine Fragen stellen. Sie beobachten uns unentwegt. Immer und überall. Auch jetzt. Lediglich in den Kemenaten – das sind unsere Unterkünfte – bleiben wir von ihren Kameras verschont. Das ist kein Entgegenkommen, wir sollen uns ‚daheim‘ vom Beobachtungsstress erholen und beruhigen, sagt Duda. Ich glaubs ihm, weil ihnen unsere Gesundheit wichtig ist, sie ist ihr Kapital.“
    Edmund sah, dass Gerd, der jetzt die Lippen aufeinanderpresste, mit den Tränen kämpfte und mit bebenden Nüstern tief durchatmete, ehe er weitersprach:
    „Wir müssen gehorchen, und aufs Wort, sonst … doch das erfahren Sie von Duda direkt. Und später genauer im Forum. Abgesehen davon leben wir hier wie Gott in Frankreich, drei Monate lang.“
    „Und dann?“
    Gerd sah ihn hilflos an und zuckte mit den Schultern.
    „Darf ich nicht sagen. Duda wird Sie informieren.“
    „Das ist …“ Edmund verfiel in Schweigen. Gerd schwieg mit. Bis Anton die Suppe brachte. Der „Neue“ nahm den Löffel und legte ihn wieder zurück. „Ich glaube, der Appetit ist mir vergangen.“
    „Kann ich verstehn, das hält auch eine Weile an, ich jedenfalls habe lange gebraucht, ehe ich was esse konnt. Wenigstens wird Nahrungsverweigerung nicht bestraft, Sie können getrost alles zurückgehen lassen.“
    „Wie? Wir sind nicht nur gefangen, es setzt auch Strafen?“
    Gerd nickte und löffelte seine Suppe. Edmund richtete sich gerade auf, studierte die Gestalten ringsum, die mit bitteren Mienen ihr Essen einnahmen. Frauen und Männer aller Altersgruppen. Raskolnikoff. Raskolnikoff. Schuld und Sühne, schön und gut, doch woher noch war ihm der Name in Erinnerung? Ganz nah, ganz deutlich – es fiel ihm nicht ein.
    „Entkommen ist aussichtslos?“, hörte er sich fragen.
    „Ganz gewiss, solange Technik und Energien nicht zusammenbrechen und somit die Observation unterbinden. Und wenn sie außer Kraft gesetzt würden, sogar noch aussichtsloser, weil die Verriegelungen nicht geöffnet, die Aufzüge nicht bewegt werden könnten. Wir sind acht Stockwerke tief unter der Erde.“
    Edmund erschauerte. Was hatte dieser Thriller mit ihm zu tun – beziehungsweise umgekehrt? Und was mochte Lydia denken, da er nicht nach Hause gekommen war – und was morgen seine Kollegen? Und seine Elf?
    „Warum wir hier mit so viel Aufwand gefangen gehalten werden, weißt du nicht?“
    „Äh – doch.“
    „Und sagst es mir nicht?“
    „Äh – nein. Es ist untersagt. Und hier gehorcht man. Die Obrigkeit besteht darauf, die Aufklärung selbst vorzunehmen.
    Sie werden offiziell belehrt, bis dahin ist das Thema tabu.“
    „Werden wir denn auch belauscht?“
    „Nein. Trotzdem bliebe es ihnen nicht verborgen, wenn ich es ausplaudern würde – sie lesen es an Reaktionen ab und auch an den Lippen. Neuankömmlinge und ihre Gesprächspartner unterliegen verstärkter Aufmerksamkeit.“
    Edmund blieb der Mund offen. Alles in ihm bäumte sich auf. Seine Rückenhaare sträubten sich. Er nahm kaum wahr, dass der Kellner seine unberührten Speisen abräumte und Gerd seinen Dessertteller leer putzte.
    „Gehen wir?“, schlug Gerd vor. „Die Zeit ist günstig, die Gasse sin um die Zeit relativ leer.“
    „Kannst du mich vor dem Rundgang durch die Katakomben zu meiner Kemenate führen?“
    „Ich hab Anweisung, Ihnen zuerst alles andere zu zeigen. Tut mir leid.“
    Sie verließen den „Palmenhof“ durch den Haupteingang zum Fliederpfad. Edmund warf dabei einen raschen Blick zum Hintereingang, der blauen Tür, durch die er gekommen war. Draußen begegnete ihnen ein Mann mit Schnauzbart, der das Prädikat „kolossal“ verdiente. Die Schultern vorgebeugt, den Kragen hochgestellt, den Kopf halb in den Overall eingezogen, raunte er ihnen im Vorübergehen zu: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“
    „Das war Franz Gerschpacher. Er fühlt sich berufen, durch Repuestos zu wandeln und die Bewohner mit Bibelsprüch zu bombardiern“, erklärte Gerd. „Man trifft hier auf Verrückte verschiedenster Arten.“
    „Flüchtlinge aus der Repuestos -Realität.“
    „Kann sein.“ Gerd fasste Edmund am Arm. „Nicht so schnell, das ist nicht erlaubt, wir dürfen nur langsam gehen, wandeln heißt des hier. War ein schlimmes Versäumnis von mir, Sie nicht
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