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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
Autoren: Marianne Reuther
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kommt.“
    „Und wozu sind sie da?“
    „Zu demselben Zweck wie wir all. Im Forum erfahren Sie es. Ich bring Sie jetzt zu Ihrer Kemenate, unser Rundgang ist beendet. Wollen Sie heut abend essen gehen?“
    „Nein. Ich will nur noch meine Ruhe.“
    „Okay – dann gehen wir noch am Tante Ema-Laden vorbei, da nemme se sich bissi Proviant mit.“
    Der Irispfad mündete in die Adlergase im Wohntrakt. An der Ecke befand sich der Laden. Eine mollige Frau war dabei, die Regale zu putzen. „Nicht so schüchtern, junger Mann!“, rief sie von der Leiter herunter. „Ich bin die dicke Emma, bei mir gibt’s alles, was der Gaumen begehrt. Greifen Sie ruhig zu.“ Edmund versorgte sich mit Obst und einem Paket Brotschnitten. Gerd nahm eine Tafel Schokolade. Die dicke Emma erwiderte ihr „Auf Wiedersehen“ nicht, sondern schnitt eine Fratze und streckte die Zunge raus. „Das macht sie immer. Sie werden noch seltsamere Figuren hier unten antreffen.“
    Draußen unterhielten sich zwei Männer und eine Frau. Die Frau sagte gerade: „Wogegen überhaupt nichts einzuwenden wäre, wenn sie sich Nazis greifen würden, aber doch nicht wahllos unschuldige Bürger! Was haben wir denn mit dem ganzen Ärger zu schaffen?“ Einer der Männer erwiderte: „Genau das fragten sich auch seinerzeit die Leute in den KZs.“ Der dritte im Bund – er war wohl erkältet – krächzte nun seine Meinung, doch sie waren inzwischen zu weit von der Gruppe entfernt, um etwas zu verstehen.
    „Weißt du, worum es bei denen ging?“
    Gerd zuckte mit den Schultern: „Vermutlich um das Gerücht, das schon eine Weile umgeht, die Juden wären unsere Kerkermeister, Repuestos sei eine Racheinstitution gegen den Holocaust im Nazideutschland. Die meisten halten das für Blödsinn. Ich übrigens auch.“
     
    Gerd zeigte Edmund noch die Unfallstation und führte ihn an der Ambulanz, den Arztpraxen sowie an Wäschereien und Schneidereien vorbei. Edmund atmete auf, als er sagte: „Gleich da vorn an de Eck ist die Adlergass mit den Unterkünften.“
    Ein junger Mann kam ihnen entgegen. Er wirkte verstört. Gerd rief ihm zu:
    „Hallo, Heino! Wohin des Wegs?“
    „Ich treff mich mit Andrea im Eiscafé, Abschied nehmen. Dir sag ich morgen früh noch Tschüss“, antwortete er und wandelte unaufhaltsam weiter.
    „Sei Zeit is abgelaufe“, flüsterte Gerd.
    Darüber sollte er sich freuen!, dachte Edmund, noch halb weggetreten, doch dann schüttelte er sich wach. Was hatte das zu bedeuten?
    „Abgelaufen?“
    „Hier in Repuestos- West. Nach drei Monaten wird man nach Repuestos- Süd versetzt.“
    Gerd wandte sein Gesicht ab, Edmund Konrad konnte seine Tränen nicht sehen – aber spüren. Er fragte nichts mehr. Sie schwiegen beide bis vor Edmunds Kemenate. Gerd öffnete ihm die Tür. „Von innen lässt sie sich verriegeln“, sagte er. „Ach, ebbes habe ich noch vergessen zu sagen. Wir schlafen auch ...“, dabei zupfte er am Ärmel seines Overalls, „in diesem Prachtstück. Das wird morgens im Vorraum vor der Schwimmhalle ausgezogen und samt Socken und Sandalen in eine bereitstehende Kiste geworfen. Die Klamotten gibt’s täglich frisch, müssen aber vierundzwanzig Stunden vorhalten. Im Trockenraum hinter der Schwimmhall hat jeder einen Spind mit seiner Kemenaten-Nummer, in dem er nach dem Schwimmen frische Sachen vorfindet.“
    „Aha.“ Edmund nahm das zur Kenntnis, war aber mit den Gedanken woanders. „Sag mal“, fragte er, „diese Betriebsschützer – sind das wirklich auch welche wie wir?“
    „Ja. Jede und jeder und alle hier unten, ob mit oder ohne Funktion, sind Entführte – Gefangene. Betriebsschützer ist ein begehrter Job, die Warteliste ist lang, so ein Posten wird nur selten frei. Wer einen innehat, wird nicht nach Süd versetzt, bleibt hier im paradiesischen West und hütet sich, ihn zu riskieren. Drum spuren die Kerle. Denselben Vorteil haben die Ärzte, aber bei denen läuft die Zeit nach fünf Jahren ab. – Da ist noch was, was ich vergessen habe: Alle vierzehn Tage muss sich jeder einem Gesundheitscheck unterziehen. Aber dazu wird man aufgerufen, muss sich also nicht selbst drum kümmern. – Also dann, bis morgen früh beim Schwimmen. Ganz im Vertrauen, Herr Konrad, morgen früh in der Schule wär mir lieber.“
    Er drehte sich schnell um und lief davon. Eingehüllt in Gänsehaut betrat Edmund seine Zelle. Sie war etwa zwei Meter fünfzig mal drei Meter groß, mit Bett, Tisch und Stuhl, Monitor und Tastatur. Das Fenster zeigte zur
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