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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
Autoren: Marianne Reuther
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weiter den Beleidigten.
    „Also gut. Er hat einen Liebsten. Der ist Bi und der ist verheiratet und seine Frau hat Lunte gerochen. Die beiden haben vor einiger Zeit ihr einziges Kind verloren und besuchen sonntags den Friedhof. Dazu kaufen sie frische Blumen bei uns und da musste ich mich in ihrer Gegenwart so verhalten, als sei ich seine Geliebte, damit die Lunte erlosch.“
    Reinhard verbarg seine Enttäuschung, indem er rasch zu seinem Glas langte. Mist!, dachte er – hatte er doch geglaubt, jetzt kommt’s. Die Enttäuschung setzte sich fort. Er fand bald heraus, dass Lolita keine Ahnung von einem Spiel hinter den Kulissen hatte. Merkwürdig erschienen war ihr während der zweieinhalb Jahre, die sie den Job innehatte, lediglich das nahezu krampfhafte Festhalten an diesem kleinen Grundstück, wo der Laden auf der anderen Seite des Eingangs genauso gut hätte bestehen können. Aber das hatte sie ihm schon vor einiger Zeit gesagt und auch den Preis genannt, der die Pacht für weitere zehn Jahre sicherstellte. Kellermann musste einsehen, dass er von ihr nichts erfahren konnte. Eine Durchsuchung des Ladens war unerlässlich.
    „Deine Appetithappen sind wirklich deliziös. Aber ich muss eine Pause machen.“
    „Ich auch. Und die verbringen wir auf dem Flokati – mir ist schon wieder danach.“
    „Mir noch nicht ganz, ein weiteres Gläschen wäre da hilfreich – oder hattest du nur die eine Flasche?“
    „Eine Flasche? Für die ganze Nacht? Da kennst du mich schlecht. Bin gleich wieder da.“
    Eilfertig begab sie sich zum Kühlschrank in die Teeküche. Reinhard entnahm flugs der Brusttasche seines Hemdes, das über der Stuhllehne hing, ein winziges Fläschchen und tröpfelte den Inhalt in Lolitas Sektglas.
    Es klappte wie im Bilderbuch. Lolita schlief über ihm ein, tief und fest. Er rollte sie behutsam auf den Flokati ab und bettete ihren Kopf auf ein Kissen.
    Einen Computer, das war das Erste, was er feststellte, gab es hier nicht. Die fünf Ordner auf dem oberen Regal enthielten Buchungsunterlagen. Dann gab es einen mit Geschäftsbriefen ohne irgendwelche Hinweise und ganz zuletzt ein äußerst mysteriöses Schreiben eines Dr. Kunz mit dem kurzen Inhalt: Herr Sehring, tun Sie Ihre Arbeit, erfüllen Sie Ihr Soll und bewahren Sie Geduld.
    Reinhard schrieb den Satz in sein Notizbuch, schüttelte verständnislos den Kopf und nahm nun den Hörler vor. Er enthielt nichts weiter als eine Kassette mit einem Bündel Geldscheinen. Enttäuscht schloss er ihn wieder zu und nahm die verschiedenen Kartons und Schatullen in Angriff. Krimskrams, nichts als Krimskrams. Die Schublade unter der Werkbank enthielt uralte Summen- und Saldenlisten, erstellt von einem Steuerbüro Schlenger. Es hingen keine Bilder an den Wänden, hinter denen ein Safe versteckt sein konnte, nur ein kleiner Hängeschrank voll bunter Krepp-Papierrollen, Bändern und Schleifen. Das Schränkchen ließ sich leicht von der Wand herunternehmen und dahinter befand sich nicht etwa ein Safe, sondern eine Klappe vor einem Hohlraum im Gemäuer, ein Schuhkarton voller Heftpflaster, Salben und Verbandszeug war hineingeschoben worden. Er durchsuchte den Karton, fand aber nichts weiter. Als er ihn zurückschieben wollte, entdeckte er an der linken seitlichen Wandung eine runde Vertiefung, nicht größer als der Korken einer Weinflasche. Er steckte einen Zeigefinger in das Loch, traf auf einen Knopf und schlagartig tat sich der Boden hinter ihm auf und verschluckte den Flokati samt Lolita.
    Er kniete am Rand der quadratischen Öffnung nieder und blickte in totale Finsternis. Außer der Falltür, die an der linken Seite an großen eisernen Scharnieren baumelte, konnte er nichts erkennen. Von unten war kein Laut zu hören. Schlief Lolita noch oder war sie verletzt, gar tot? Wie tief war der Raum da unten? Er rief ihren Namen, so laut er konnte. Nicht einmal sein Echo kam zurück aus der Dunkelheit, die alles verschluckte. Reinhard sprintete hinaus zu seinem Wagen, holte die Taschenlampe aus dem Handschuhfach und rannte, so schnell er konnte, wieder zurück.
    Der Lichtstrahl glitt über eine Art Rutschbahn, die steil in die Tiefe führte. Er war zu dünn, um den Raum auszuleuchten, es musste verdammt tief sein. Einem ersten Impuls, in die tiefe Ungewissheit hinunterzurutschen, Lolita hinterher, leistete er keine Folge. Er rief stattdessen Reinfeld an, rüttelte ihn mit der unheimlichen Nachricht aus tiefer Depression, in welche jener erneut hineingeschliddert
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