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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
Autoren: Marianne Reuther
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Öffentlichkeit kaum oder gar nicht beachtet. Die ‚politisch Korrekten‘ lenken ganz im Gegenteil mit einem raffiniert geführten ‚Kampf gegen Rechts‘ mit großem Erfolg davon ab und so kommt es zum Schulterschluss zwischen bürgerlichen Politikern und Linksradikalen. Das beginnt mit der Glorifizierung der Rote Armee Fraktion und führt bis zu den Kapitalverbrechen der Massenmörder Stalin, Mao, Pol Pot, zur Verherrlichung Che Guevaras und Fidel Castros. Die bürgerlichen Politiker schweigen zähneknirschend dazu. Sie haben Angst vor der öffentlichen Macht der ‚politisch Korrekten‘, ziehen den Schwanz ein, statt gegen die Renaissance der Linken zu Felde zu ziehen.“
    Schuster hatte sich in Rage geredet, wenn nicht gar in Fieber, denn sein Gesicht war glutrot und er presste eine Hand gegen seine Stirn. Im Saal war es mucksmäuschenstill geworden. In den unterschiedlichen Köpfen erarbeiteten unterschiedliche Gedanken unterschiedliche Erwiderungen, bis alle hochfuhren, als sich eine besonders tiefe und raue Stimme erhob:
    „Nein, der bolschewistische Spuk ist tatsächlich nicht überwunden!“, bekräftigte der alte Mann – oder wirkte er nur alt, weil er sich seit Langem nicht mehr rasiert hatte. Mager, wie er war, kauerte er als ein Häuflein Elend beinlos im Rollstuhl. Er versuchte, sich in seinem Gefährt aufzurichten, und fuhr fort:
    „Noch lange nicht! Die Apo-Opas, die E-Uropas, die alten Kommunarden jedenfalls wittern Morgenluft, kräftigen sich aus den Fleischtöpfen der verachteten Wohlstandsgesellschaft und pumpen sich auf zu neuem Höhenflug, um ihre Pleite von achtundsechzig wettzumachen und ihre blutigen Vorstellungen von einer neuen Welt einzulösen!“
    „Was ist eigentlich …“
    Edmund hatte irgendwann nicht mehr aufmerksam zuhören können, er wurde schläfrig, und als ganz und gar Utes Stimme wieder den Raum durchflutete, versetzte ihn ein Abwehrmechanismus in tiefen Schlaf. Daraus schreckte er durch einen lauten Knall auf. Es war ein Fausthieb auf Tisch fünf. Alles blickte auf Karl Hagen, der aufgesprungen war und Ute zornig zurechtwies:
    „Jetzt schlägt‘s aber dreizehn! Ich glaube, dass wir beide noch heute in der Konservierung enden, denn ich kann mich nicht mehr lange zurückhalten, dir in die Fresse zu schlagen.“
    Beifall klopfendes Trommeln auf sämtlichen Tischplatten, dazu flüsterte Gerd, nur für Edmund und Marlene hörbar:
    „Hier unten fluchen und reden selbst ehemals feine Herren noch ordinärer als Kreuzbergs Fuhrknechte im neunzehnten Jahrhundert.“
    „Hoffentlich hält er sich dennoch zurück“, sagte Edmund, der nicht wusste, worum es ging, und viel zu müde war, sich danach zu erkundigen. „Ich für meinen Teil kann mich nicht mehr zurückhalten, meine Koje aufzusuchen.“ Gerd und Marlene erhoben sich mit ihm und sie verließen die Bibliothek. Die zwei Männer nahmen Marlene in ihre Mitte. „Ist ja noch mal glimpflich verlaufen“, sagte Edmund, „Handgreiflichkeit hingen nur so in der Luft.“
    „Dieses Weib kann einen aber auch rasend machen“, sagte Gerd, „außerdem blicke ich bei der nicht durch, ist sie nun linksradikal oder rechtsradikal oder …“
    „Oder diagonalradikal?“, schlug Marlene vor.
    „Hast recht, is eh wurscht.“
    „Aber kann mir einer von euch verraten, was die vorher am Abend mit Holomodor gemeint hat beziehungsweise was das ist – mir geht das Wort nicht aus dem Kopf.“
    Gerd zuckte mit den Schultern und Edmund sagte:
    „Holomodor ist das russische – oder vielmehr ukrainische Wort für Hungersterben. Stalin hatte, um die Aufrüstung der Sowjetunion zu finanzieren, sämtliches Getreide aus der Ukraine inklusive des Saatguts requiriert und exportiert und noch dazu mit Gewalt verhindert, dass die Leute ihre Dörfer und Städte verließen, in denen es nichts mehr zu essen gab, wodurch sie sage und schreibe verhungerten – einige Millionen Ukrainer.“
    „Das hab ich schon mal gehört oder gelesen“, Marlene gähnte herzhaft, „aber nicht, dass das Holomodor heißt. Mann, o Mann, bin ich müde. Gute Nacht, ihr zwei.“ Sie verschwand hinter der Tür ihres Zimmers, an dem sie vorbeikamen. Es war auch schon fast Mitternacht. Sie bogen in den Parcivalkreis ein, folgten dem Weg entlang der Nordrunde und verfielen in Schweigen. Edmund hatte den Eindruck, dass Gerd über eine weitere Frage grübelte, vielleicht ging es um die, mit der er noch immer nicht herausgerückt war.
    „Du wolltest mich neulich doch noch was
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