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Renner & Kersting 02 - Mordswut

Renner & Kersting 02 - Mordswut

Titel: Renner & Kersting 02 - Mordswut
Autoren: Angelika Schroeder
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sich einer weiteren Flasche eiskalten Bieres. Auf ein Glas verzichtete er. Etwas, das er in Gegenwart anderer nie getan hätte. Vielleicht lag es an seiner piekfeinen Internatserziehung, dass er sich ab und zu in der Rolle des Proleten gefiel. Er grinste, als er sich das Gesicht seines Vaters vorstellte, wenn der ihn so sehen würde: mit geöffnetem Hemdkragen, aufgerollten Ärmeln und ausgetretenen Pantoffeln. Sein Vater trug, selbst wenn er sich allein in der Wohnung aufhielt, stets einen korrekten Anzug mit entsprechender Krawatte und dazu passenden Schuhen. Seit dessen Hochzeit vor etwas mehr als einem Jahr hatten sie sich nicht mehr getroffen. Sie hatten sich auch vorher nicht gut verstanden, aber dass sein alter Herr eine Frau heiratete, die jünger als sein Sohn war, fand Kersting junior nun doch äußerst unpassend, um nicht zu sagen, geschmacklos. Er nahm einen großen Schluck aus der Flasche und stieß einen ordentlichen Rülpser aus. Im Fernsehen lief ein alter Western mit John Wayne, der zum x-ten Mal wiederholt wurde. Für Kersting genau das richtige Programm. Ohne der Handlung die geringste Aufmerksamkeit zu schenken, wusste er doch ganz genau, was gerade passierte. Wieder setzte er die Flasche an. Nein, er wollte nicht auf Kinder verzichten. Er hatte sich einen Sohn gewünscht seit er eigenständig seine Zukunft planen konnte. Das hatte nichts mit Männlichkeitswahn oder Potenzbeweisen zu tun, sondern einfach mit seinem Verständnis von Liebe und Familie. Für ihn gehörte ein Kind ganz selbstverständlich zu einer innigen Beziehung dazu.
    Womöglich hing der Wunsch auch mit seiner eigenen unschönen Kindheit zusammen. Er wollte seine Kinder besser erziehen, ihnen eine glückliche Kindheit schenken. Ehrlicherweise musste er sich jedoch gestehen, dass das längst nicht alle Gründe waren. Er wollte seinem Vater etwas beweisen. Ihm zeigen, dass er, Klaus, mit Kindern und den Problemen, die sich aus ihrer Existenz nun einmal ergeben, besser fertig wurde als Kersting senior. Der hatte seinen Sohn bei der ersten Schwierigkeit ins Internat abgeschoben. Fairerweise musste er zugeben, dass der Tod der Ehefrau mehr war als nur eine Schwierigkeit. Trotzdem hätte er es damals vorgezogen, beim Vater zu bleiben und gemeinsam mit ihm zu trauern, statt von einem Tag zum andern in eine fremde Welt gestoßen zu werden, die keinerlei Verständnis für seine Einsamkeit und Traurigkeit zeigte. Sie hatte ihn hart werden lassen – äußerlich. Und das wurde ihm jetzt zum Problem. Eigentlich wusste er genau, was er wollte, schaffte es aber trotzdem nicht, Prioritäten zu setzen und die Folgen zu akzeptieren. Helga würde ihn verstehen. Er hatte von Anfang an mit offenen Karten gespielt, ihr gesagt, wie sehr er sich nach einem Kind sehnte. Folglich durfte sie nicht überrascht sein, wenn er jetzt zu seinem Wunsch stand. Natürlich dachte Helga wie alle Frauen an eine dauerhafte Beziehung. Auch deshalb war es wichtig, endlich eine Entscheidung zu treffen. Nach eineinhalb Jahren machte sie sich womöglich falsche Hoffnungen. Am Donnerstag würde er mit ihr noch zu dem Polterabend ihrer Kollegin gehen, und danach würde er es ihr sagen. Am besten gleich am Freitag. Schließlich gab es noch andere Frauen. Aber keine wie Helga, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. In den abgrundtiefen Seufzer mischte sich misstönendes Gewehrfeuer aus dem Fernseher. Kersting grinste schief. Die Westernhelden hatten es doch leichter. Deren Probleme konnten mit ein paar Schüssen gelöst werden.
     

4
    Am nächsten Morgen kam Helga schon sehr zeitig in die Schule. Zum einen musste sie noch etliche Arbeitsblätter kopieren, zum anderen hoffte sie, Ulrike Stellmann zu treffen, in deren Klasse Pia-Maria ging, die angeblich von Niklas vergewaltigt worden war. So ganz glaubte sie die Geschichte des Mannes nicht. Sie kannte ihren Niklas. Er war schon zwölf, für sein Alter weit entwickelt, dazu frech und vorlaut. Dass er eine Erstklässlerin ärgerte, konnte sie sich gut vorstellen, aber eine Vergewaltigung? Wie erwartet war sie die Erste. Sie schloss Lehrerzimmer und Lehrmittelraum auf, schaltete den Kopierer ein und suchte nach ihren Vorlagen. In ihrer Tasche herrschte wieder einmal heilloses Chaos. An jedem Wochenende nahm sie sich vor, gründlich aufzuräumen, doch irgendwie kam sie nie dazu. Nach kurzem Suchen hatte sie das Gewünschte gefunden. Der Kopierer war inzwischen warm geworden und bereit. Während die erste Serie durchlief, schaute
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