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Renner & Kersting 02 - Mordswut

Renner & Kersting 02 - Mordswut

Titel: Renner & Kersting 02 - Mordswut
Autoren: Angelika Schroeder
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sich nicht sexuell belästigt gefühlt hat. Wenn ich ihn melden würde, müsste ich mindestens ein Drittel meiner Klasse melden. Kinder, um die sich kaum jemand kümmert, die zu dünne Kleidung und zu kleine Schuhe tragen, zur Pause eine Tüte Chips mitbringen, kein Mittagessen bekommen und sich nachmittags auf der Straße rumtreiben müssen. Meine Güte, Sie kennen unsere Schüler doch auch und wissen, wie überlastet die beim Jugendamt sind. Die machen einen Besuch, stellen fest, dass alles in Ordnung ist und das war’s. Natürlich werde ich der Mutter mit dem Amt drohen, damit sie endlich einmal mehr unternimmt, als immer nur dem Jungen seine besondere Art zu attestieren.“
    „Hm.“ Frau Stellmann nickte zustimmend, dann ging sie zum Regal hinüber, um in einem der Lesebücher nach einem Gedicht zu suchen.
    Helga eilte zum Kopierer, wo inzwischen Frau Steinhofer agierte. Die fertigen Kopien lagen auf dem Tisch.
    „Morgen, hast du schon gehört, ob Raesfeld sich endlich entschieden hat?“
    Helga schüttelte den Kopf. Die Konrektorin kam hinzu, ebenfalls mit einem Blatt in der Hand. Sie hatte Angelas Frage gehört.
    „Wir haben gestern Nachmittag lange telefoniert. Die Sache geht klar. Aber ich Idiot muss den Kindern noch ein Lied beibringen. Was singt man denn zur Hochzeit? Viel Glück und viel Segen?“
    „Nimm den Plural, dann passt’s“, meinte Angela Steinhofer, flexibel wie immer.
    „Na schön, aber wie kann ich mir ein paar Sänger aus der Klasse holen, ohne dass Andrea etwas merkt?“
    „Kein Problem“, erklärte Helga. „Ich habe Andrea angeboten, sie in der sechsten Stunde zu vertreten, damit sie noch ein paar Sachen erledigen kann. Dann kannst du entweder mit der ganzen Klasse oder mit einer kleinen Gruppe üben.“ Nach dem gestrigen Misserfolg bot sie Elli nicht an, die Singerei zu übernehmen. Sollte die sehen, wie sie mit den Kindern und dem Lied zurecht kam. Ein gesunder Egoismus darf auch unter Kollegen erlaubt sein, dachte sie grimmig.
    „Prima, so machen wir es. Ich komme dann in der letzten Stunde vorbei und schau mal, wen wir mitnehmen zur Kirche.“
     

5
    Die alte Uhr in der Nachbarwohnung ließ ihre fünf Schläge mit der üblichen zweiminütigen Verspätung ertönen. Durch die offene Tür zum Wohnzimmer war bereits die Stimme eines Nachrichtensprechers zu vernehmen. Unkonzentriert hörte Helga Renner zu, während sie am Küchentisch saß, einen trockenen Rotwein genoss und versuchte, ihre Spagetti möglichst ohne Spritzer auf eine Gabel zu drehen. Obwohl sie die italienische Küche liebte, überkam sie bei Spagetti immer das Gefühl, dass das Essen in Arbeit ausartete. Heute Mittag hatte sie sich zum Kochen zu müde gefühlt und sich deshalb mit Tee und Kuchen begnügt. Später hatte sie dann die Glückwünsche des Kollegiums, Frau Schnoors Gedicht, Angelas Rede und ein paar Bilder von Kindern auf buntes Tonpapier geklebt, das Ganze zu einem Buch gebunden und festlich verziert. Sie fand ihr Werk gut gelungen und freute sich auf Andreas Überraschung, wenn das Brautpaar aus der Kirche kam und sie alle da stehen sehen würde. Vielleicht sollten sie nur die Lineale mitnehmen, überlegte sie, da die Zeigestöcke den ein oder anderen älteren Passanten an Rohrstöcke erinnern könnten. Und sie mussten penibel alles vermeiden, was einen negativen Gedanken hervorrufen konnte. Heute Morgen hatte sie wieder die letzte Stunde in Andreas Klasse vertreten. Da Elli acht Schüler herausgeholt hatte zum Singen, konnte sie mit dem Rest problemlos das Dreier-Einmaleins üben. Anscheinend fühlten sich die Kinder in der verkleinerten Gruppe doch mehr unter Beobachtung, denn sie arbeiteten heute ruhiger mit. Helga brauchte längst nicht so oft zu ermahnen oder gar zu drohen wie gestern. Vielleicht hatten die Kleinen sich inzwischen auch ein wenig an sie gewöhnt. Als sie nach dem Schellen als Letzte die Klasse verlassen wollte, sah sie die vier bekannten Mädchen an der Tür stehen. Britta weinte schon wieder. „Was ist denn los?«
    „Britta hat Bauchweh.“
    Das durfte nicht wahr sein! „Wart ihr gestern beim Arzt?“
    „Nein.“
    „Und warum nicht?“
    Von Schniefen und Schluchzen unterbrochen gab Britta zurück: „Gestern Nachmittag tat der Bauch nicht mehr weh.“
    „Aha, und heute Morgen?“
    „Auch nicht.“
    „Aber jetzt ganz plötzlich?“
    Ein kräftiges Nicken.
    Da konnte doch etwas nicht stimmen. Gleichgültig ob die Schmerzen physischer und psychischer Herkunft waren, die
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