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Renner & Kersting 01 - Mordsliebe

Renner & Kersting 01 - Mordsliebe

Titel: Renner & Kersting 01 - Mordsliebe
Autoren: Angelika Schroeder
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richtig gehandelt. Überlass uns den Rest.”
    „Halt mich fest, bitte. Ich bin so schrecklich müde.”
     

26
    Die schrille Stimme in ihrem Kopf wurde immer lauter: Dummes Blag! Du bist Schuld. Hättest du dich nur gekümmert, ihm ein wenig geholfen, wäre etwas aus ihm geworden, und er hätte nicht so furchtbar leiden müssen. Aber du denkst ja nur an dich selbst. Du bist eine eiskalte Egoistin. Die Leiden anderer interessieren dich nicht! Sie kümmern dich einen Dreck. Sogar deine arme, alte Mutter ist dir egal. Du wirst schon sehen, was du davon hast.
     
    Wieder ließ der Meister seine Schüler die Abwehr von Würgegriffen trainieren. Angriff und Verteidigung erfolgten abwechselnd. Niemand sprach. Nur das Keuchen der Übenden war zu hören.
    Helga hatte geglaubt, sie würde jetzt, da der Fall geklärt und die Täterin verhaftet war, glücklich und zufrieden sein. Doch genau das Gegenteil war eingetreten. Sie fühlte sich müde, alt und verbraucht. Ihr Angriff erfolgte halbherzig, die Verteidigung unsicher und zu langsam.
    „Du sollst dem Gegner ausweichen und dich nicht selbst erwürgen!”, flüsterte Ilse scharf. „Wo hast du nur deine Gedanken? Die Geschichte ist ausgestanden, also konzentriere dich und denke an deine Prüfung!”
    „Entschuldige, aber die Kinder und Beate gehen mir nicht aus dem Kopf. Ich sehe sie noch immer vor mir, wie sie von der Polizei abgeführt wird.”
    Helga dankte dem Himmel, ausgerechnet Ilse als Partnerin zu haben, die ihre Fehler geschickt überspielte. Trotzdem bekam der Trainer mit, dass sie heute Abend wieder einmal nicht bei der Sache war. Sie spürte seine scharfen Blicke und wurde noch nervöser. Der heutige Tag war aber auch entsetzlich gewesen.
     
    Angefangen hatte es gestern am späten Abend. Sie wollte gerade zu Bett gehen, als Klaus anrief, um sie wie versprochen von dem Laborergebnis zu informieren. An Beates Schuld gab es keinerlei Zweifel mehr. Während sie noch versuchte, das Gehörte zu begreifen, sprudelten die Erklärungen nur so aus ihm heraus.
    „Ich habe die Mutter deiner Kollegin getroffen. Helga, du kannst dir nicht vorstellen, was für ein Monstrum diese Frau ist. Es ist geradezu ein Wunder, dass die Paukens so viele Jahre funktioniert hat. Mit sechs musste sie bereits die Verantwortung für einen Säugling und sich selbst tragen – und für die Mutter vermutlich auch. Die Alte säuft und jammert und schiebt die Schuld an ihrem beschissenen Leben auf die Tochter, selbst heute noch, nach so vielen Jahren.”
    Helga hörte die Qual in seiner Stimme und wusste nichts zu entgegnen.
    „Während Beate es irgendwie geschafft hat, für gewisse Zeit ein normales Leben zu führen, sogar zu studieren und einen Beruf zu ergreifen, landete der Bruder bei den Obdachlosen. Beate hat sich emotional nie richtig von ihrer Mutter gelöst. Sie besucht und unterstützt sie regelmäßig. Wahrscheinlich wartet sie immer noch auf Anerkennung – die sie nie erhalten wird. Als der Bruder dann vor drei Monaten zu Tode geprügelt wurde – du erinnerst dich an den Fall? – hat diese … dieses Schnapsloch ihrer Tochter tatsächlich Mitschuld vorgeworfen. Und das muss so getroffen haben, dass Beate durchdrehte.” Sein Widerwille war dermaßen groß, dass ihm die Wahl seiner Worte gleichgültig war. „Deine Kollegin tut mir Leid, und ich hoffe, die Psychologen können ihr helfen. Ich wünschte nur, es gäbe eine Möglichkeit, die versoffene Alte dranzukriegen.”
    Helga empfand seine Resignation und Traurigkeit seltsam tröstlich. „Sie hat ihr verpfuschtes Leben verdient”, sagte sie leise.
    In der Nacht schlief sie nicht. Immer wieder zogen Bilder von Beate vor ihre Augen, Beate umringt von lachenden Kindern, Beate mit dem Informationsmaterial für ein Kinderdorf in der winkenden Hand, Beate, die sich intensiv um den Deutschunterricht für Ausländerkinder kümmerte. Ruhelos wanderte sie durch die Wohnung. Zuerst hatte sie heißen Kakao getrunken, dann warmes Bier, schließlich ein paar Gläser schweren Rotwein. Obwohl todmüde, konnte sie doch nicht einschlafen. Vor ein paar Wochen noch glaubte sie fest daran, dass jeder für seine Taten verantwortlich war, aber die Beate, die sie kannte, hätte niemals einem Kind etwas zuleide getan. Von allen unbemerkt war ein Monster in ihr erwacht. Ein Monster, das vor langer Zeit von der Mutter erschaffen worden war.
    Sie wusste, dass Beate noch vor Schulbeginn verhaftet werden sollte. Lange bevor der Wecker klingelte, zog sie
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