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Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Titel: Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
Autoren: Alexandra Guggenheim
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die meisten besaßen nur ein Obergeschoss. Ein paar streunende Hunde liefen auf den engen Wegen zwischen den Häuserreihen und suchten nach etwas Essbarem. Als wir fast am Ende der Straße angekommen waren, blieb mein Vater vor einem Haus mit grünen Fensterläden stehen und zeigte auf eine Tafel neben der Haustür. Mit klopfendem Herzen und mit brüchiger Stimme las ich vor: „Handelskompanie in Gemälden, Papierkunst, Kupfer- und Holzschnitten und Raritäten“.
    „Hier muss es sein. Man hat mir erzählt, dass Meister Rembrandts Sohn Kunsthändler war und vor wenigen Wochen gestorben ist.“ Mein Vater griff nach dem rostigen eisernen Türklopfer.
    Es dauerte eine Weile, bis wir von innen Schritte hörten. Eine alte Frau mit gebeugtem Rücken und runzeliger Haut öffnete uns. Sie trug eine weiße Schürze und eine Haube, die schon seit langem aus der Mode gekommen war, mit seitlich herunterhängenden, zu Wülsten gerollten Zipfeln. Über der Stirn kräuselten sich einige graubraune Haare.
    „Was wollt Ihr?“, fragte sie mürrisch und musterte uns mit einem abschätzigen Blick von Kopf bis Fuß.
    „Ich bin Willem Bol, und das ist mein Sohn Samuel. Er soll bei Meister Rembrandt van Rijn in die Lehre gehen.“
    „Hä? Wer seid Ihr?“
    „Willem Bol, Blumenhändler aus Muiderkamp mit seinem Sohn, wie ich bereits sagte.“
    Die Alte zuckte ungerührt mit den Schultern und rührte sich nicht von der Stelle. Mein Vater trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
    „Hört zu, gute Frau. Mein Sohn will das Malerhandwerk lernen, und Meister Rembrandt soll ihn unterrichten. Er wohnt doch in diesem Haus, oder?“
    Die Frau presste die Lippen zusammen und sah meinen Vater argwöhnisch an. „Woher soll ich wissen, dass Ihr der seid, für den Ihr Euch ausgebt?“
    Mein Vater griff in seine Gürteltasche, holte einen Brief hervor und hielt ihn der Alten dicht unter die Nase.
    „Der Meister selbst hat diesen Brief an Pastor Jan Goltzius, wohnhaft in Muiderkamp, geschrieben. Darin teilt er mit, er wolle meinen Sohn Samuel Bol als Schüler bei sich aufnehmen und ihn zum Maler ausbilden.“
    Die Frau kniff die Augen zusammen und warf einen flüchtigen Blick auf das Schriftstück. Mein Herz klopfte, meine Hände wurden feucht. Was, wenn die Alte überhaupt nicht lesen konnte?
    Endlich machte sie einen Schritt zur Seite und ließ uns eintreten. Wir gelangten in eine Diele, in deren hinterster Ecke ein Regal mit Zinnkrügen stand. Daneben lagerten einige Teppiche aufgerollt vor einer Wand. Der Raum wirkte kahl und ungenutzt.
    „Da geht’s hinauf, der Meister ist in seiner Werkstatt“, sagte die Frau barsch und deutete mit dem Kinn in Richtung einer Holztreppe, die steil und gewunden in das obere Stockwerk führte.
    Mein Vater ging voraus. Als ich die vorletzte Stufe erreicht hatte, stolperte ich und fiel der Länge nach hin, direkt ins Atelier.
    Meister Rembrandt arbeitete gerade an der Staffelei. Als er uns kommen sah, legte er Pinsel und Palette ab und kam uns entgegen. Schnell rappelte ich mich wieder hoch und klopfte mir den Staub aus den Kleidern.
    „Ihr müsst Mijnheer Bol sein, und das ist Euer Sohn Samuel. Hast du es immer so eilig, mein Junge?“, fragte er mit leisem Tadel und reichte uns die Hand.
    Ich ärgerte mich über meine Ungeschicklichkeit und zitterte vor Aufregung. Vor mir stand also der berühmteste Maler Hollands, der Mann, dessen Name und Bilder man im ganzen Land rühmte. Zaghaft drückte ich seine Hand und brachte kein einziges Wort heraus.
    Der Meister war nur wenig größer als ich und hatte eine kräftige Statur. Er trug einen dunkelbraunen Malerkittel und eine weiße Haube. Seine Kleidung war übersät mit winzigen, kleinen Farbsprenkeln. Die fülligen, grauen Locken reichten ihm bis über die Ohren. Das breite Gesicht mit der großen, kräftigen Nase war faltig und schlaff, die Haut blass. Doch seine dunklen Augen blickten wachsam und klar.
    „Man hat mir berichtet, dass du Talent hast und die Malerei liebst. Ich habe schon viele Jahre keinen Schüler mehr gehabt. Eigentlich wollte ich auch keinen mehr bei mir aufnehmen, das Unterrichten kostet mich viel Zeit und Kraft. Aber in letzter Zeit ist es mit meiner Gesundheit nicht zum Besten gestellt. Deswegen brauche ich jemanden, der zupacken kann und mir tatkräftig zur Hand geht.“
    Der Meister hatte eine tiefe, volltönende Stimme. Prüfend sah er mich von oben bis unten an, und ich senkte rasch den Kopf.
    „Samuel ist ein braver Junge,
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