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Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Titel: Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
Autoren: Alexandra Guggenheim
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aus dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts stammten. Etwas schwieriger gestaltete sich das Entziffern der Schrift und noch schwieriger - die Übersetzung. Meine Niederländisch-Kenntnisse reichen allenfalls für den alltäglichen Sprachgebrauch des einundzwanzigsten Jahrhunderts aus.
    Mir fiel sofort ein alter Freund ein, der Historiker ist und viele Jahre in den Niederlanden gelebt hatte. Er sagte mir spontan seine Hilfe bei der Übertragung ins Deutsche zu. Also machte ich mich daran, den Text zu bearbeiten. Dabei bestand die größte Herausforderung darin, die Stimme des Chronisten in ihrer Eigenart zu bewahren, sie aber gleichzeitig unserem heutigen Sprachgebrauch behutsam anzunähern.
    Und so lege ich hiermit die Erinnerungen des Samuel Bol vor, wie er sie vor fast dreihundert Jahren aufgezeichnet hat.

    Alexandra Guggenheim

ERSTES HEFT
    Vorbemerkung des Verfassers
    Das erste Mal habe ich sie vor einem Monat gespürt, diese Enge in meiner Brust. Als ob eine eiserne Hand sich fest um mein Herz legte. Danach jeden Tag. So also kündigt sich das Ende an. Das Ende eines Menschen, dem es vergönnt war, ein Leben lang von Pest, Hungersnot und anderem Unheil verschont zu bleiben, wofür ich dem Allmächtigen aus tiefstem Herzen danke.
    Im vergangenen Winter habe ich meinen einundsiebzigsten Geburtstag gefeiert. Nur wenigen Menschen wird ein solch hohes Alter gewährt. Ich sollte daher nicht mit meinem Schicksal hadern. Meine Lena ist vor fünf Jahren von mir gegangen. Seither lebe ich im Haus meines Ältesten und freue mich an seinen Kindern.
    Fünfundzwanzig Jahre waren wir zusammen, meine Frau und ich, und haben drei Kinder zusammen groß gezogen. Die Jungen haben achtbare Berufe erlernt, und auch sie sorgen für ihre Familien so, wie ich es ihnen vorgelebt habe. Die Gebote des Herrn habe ich geachtet. Mein Bestreben war, gegen jedermann gerecht zu sein und frei von Eitelkeit und Heuchelei. „Da kommt Samuel Bol“, haben die Leute auf der Straße gesagt, „er ist ein Ehrenmann.“
    Doch da ist etwas, das auf meiner Seele lastet und mich nicht zur Ruhe kommen lässt. Die Bilder der Vergangenheit haben mich eingeholt, und mir ist, als sei es erst gestern geschehen. Mit keiner Menschenseele habe ich jemals darüber gesprochen.
    Es ist an der Zeit, Rechenschaft abzulegen über mein Leben. Deshalb will ich alles niederschreiben, so, wie es sich in Wahrheit ereignet hat, und nichts auslassen oder beschönigen, damit ich reinen Gewissens vor das Angesicht unseres Herrn treten kann. Ich möchte mit der Stimme des halbwüchsigen Jungen von damals erzählen, die Welt wieder mit seinen Augen sehen. Alsdann beginne ich mit jenem Tag im Herbst des Jahres 1668, als ich alle meine Habe in einen Korb packte und mein Heimatdorf am südlichen Ufer der Zuiderzee verließ.

    Oktober 1668
    Mein Herz klopfte vor Aufregung, als am Horizont die Silhouette von Amsterdam auftauchte. Der Fuhrmann, der uns im Morgengrauen mitgenommen hatte, zog die Zügel straff und ließ seinen alten, klapprigen Gaul anhalten. Wir stiegen aus, unsere Wege sollten sich an diesem schmalen Feldweg trennen.
    In der Ferne sahen wir die Türme der Kirchen, die hoch über das Häusermeer hinausragten. Bald schon konnten wir riesige Windmühlenflügel erkennen und die Masten der großen Handelsschiffe, die im Hafen lagen. Wir blieben einen Augenblick stehen.
    „Dort drüben wirst du also die nächsten Jahre deines Lebens verbringen.“ Mein Vater blockte besorgt zu mir herüber. „Du musst wachsam sein, Samuel. Amsterdam ist eine Stadt voller Verlockungen und Gefahren. Schließlich warst du noch nie in deinem Leben von zu Hause fort.“
    „Aber Vater“, entgegnete ich etwas zu hastig, „ich werde bald siebzehn Jahre alt und möchte endlich den Beruf erlernen, der meiner Natur entspricht. In unserem Dorf gibt es niemanden, der mich unterrichten könnte. Da ist es für uns alle doch ein großes Glück, dass Pastor Goltzius mir eine Anstellung in Amsterdam vermittelt hat.“
    In Wahrheit wollte ich nicht nur meinem Vater, sondern auch mir selbst Mut machen. Denn natürlich war mir ein wenig bang vor dem neuen Leben weit weg von meinen Eltern und Geschwistern. Bisher kannte ich nur Muiderkamp, mein Heimatdorf, und seine Bewohner.
    Wir waren sechs Geschwister, vier weitere Kinder starben kurz nach der Geburt. Mein Vater züchtete Blumen und handelte damit. Ab und zu verdiente meine Mutter als Leichenwäscherin etwas hinzu. Doch das Geld war für acht hungrige
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