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Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Titel: Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
Autoren: Alexandra Guggenheim
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begann mit dem Unterricht. Er holte eine zweite Staffelei und einen Spannrahmen mit Leinwand aus der Kammer und stellte sie neben das Fenster.
    „Als Erstes erkläre ich dir die Grundlagen der Maltechnik. Jeder Schüler muss wissen, wie eine Leinwand so grundiert wird, dass alle Fadenzwischenräume ausgefüllt sind und die Farbe aufgetragen werden kann. Danach wirst du lernen, Farben zu mahlen und zu mischen. Die Malgeräte musst du jeden Tag gründlich auswaschen, ich erwarte größte Sorgfalt von dir. Ein guter Pinsel aus Marder- oder Dachshaaren kostet eine Menge Geld.“
    Der Meister holte eine Palette, auf der nur eine einzige, gelblich weiße Paste zu sehen war, einen Spachtel und einen breiten Pinsel.
    „Das hier ist eine Mischung aus Bleiweiß, Kalk, dünnem Leim und ein wenig Ocker. Damit werden die Knoten und Kettenfäden des Leinengewebes ausgefüllt. Die Grundierung soll die ganze Leinwand gleichmäßig bedecken. Nirgendwo darf mehr eine freie Stelle zu sehen sein“, erklärte er und trug in der linken oberen Ecke mit ein paar raschen und sicheren Pinselstrichen die Paste auf. Dann reichte er mir das Werkzeug. „Hier, Samuel, und streng dich an. Oft zeigt sich schon in den ersten Unterrichtsstunden, ob ein Schüler sich tatsächlich für den Malerberuf eignet.“
    Meine Hand war unsicher, als ich mit meiner Arbeit begann und mein Arm schwer. Doch je mehr Grundierung ich auftrug, desto leichter wurde er und desto sicherer glitt auch der Pinsel über das Bild. Am Abend war die Leinwand eine ebenmäßige, ockerfarbene Fläche, und ich hatte das Gefühl, meinem großen Ziel schon ein Stück näher gekommen zu sein.
    Gleich nach dem Nachtmahl ging ich in meine Kammer, kroch unter die dicken Kissen und schlief sofort ein. Ich träumte von einem großen Haus in Muiderkamp, in dem ich mit meinen Eltern und Geschwistern lebte und wo jeder von uns ein eigenes Bett hatte.

    Seite an Seite arbeiteten wir in den nächsten Tagen nebeneinander in der Werkstatt, ich an der Grundierung von Leinwänden und der Meister an seinem Selbstbildnis. Häufig benutzte er beim Malen einen Holzstock, dessen gepolstertes Ende er auf die Rahmenkante oder an den äußeren Rand des Bildes stützte. Die Rechte, die den Pinsel hielt, legte er über den Stab. Auf diese Weise konnte die aufgestützte Hand den Pinsel viel ruhiger und sicherer führen.
    Links neben der Staffelei hatte der Meister einen Spiegel angebracht, in den er hin und wieder während des Malens schaute. Manchmal schnitt er Grimassen oder rollte mit den Augen wie ein Hanswurst auf der Bühne. Wenn der Meister eine Pause machte, setzte er sich in einen Armlehnstuhl, der mit braunem Leder bezogenen und schon etwas abgenutzt war. Er stellte die Füße auf ein Holzbänkchen, zündete sich eine Pfeife an und betrachtete still und nachdenklich sein Werk.

    Eines Morgens hörte ich Lachen und kurze Schritte auf der Treppe zum Atelier. Ein Mädchen mit rotblonden Haaren, vielleicht ein wenig jünger als ich, lief auf den Meister zu und warf sich an seine Brust.
    „Cornelia“, rief dieser und schloss das Mädchen in seine Arme. „Endlich, da bist du ja wieder. Lass dich anschauen, ob du in den Tagen noch hübscher geworden bist. Ich habe dich vermisst. Wie geht es Magdalena, kommt sie nun alleine zurecht?“
    „Ja, Vater, es geht ihr wieder besser. Sie hat mir Äpfel, Eier und Nüsse mitgegeben. Rebekka soll am Sonntag einen Kuchen für uns backen.“
    Das Mädchen schmiegte sich liebevoll an den Meister und blickte dabei über seine Schulter. Dann bemerkte sie mich.
    Sie trat ein paar Schritte auf mich zu und streckte mir die Hand entgegen. „Du bist sicher Samuel, Vaters neuer Schüler.“ Ihre Berührung war sanft und warm.
    Die Tochter des Meisters hatte ungefähr meine Größe, trug einen purpurroten Rock und ein blaues Leibchen, darüber eine weiße Schürze. Sie hatte leuchtend grüne Katzenaugen und ein wunderbares Lächeln. Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals ein schöneres Mädchen gesehen zu haben.

    Voll Eifer probierte ich in den folgenden Tagen die Grundiertechnik. Diese Arbeit gelang mir recht gut, und schon bald konnte ich es kaum erwarten, mit der nächsten Übung anzufangen. Doch der Meister ließ mich zunächst nichts Anderes tun und schien meine Ungeduld überhaupt nicht zu bemerken.
    Endlich, nach drei Wochen, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, begann er mit einer neuen Lektion, der Herstellung von Farben. Im hinteren Teil des Ateliers, neben
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