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Reigen des Todes

Reigen des Todes

Titel: Reigen des Todes
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Sachverhaltsdarstellung gegangen, dass so die Hauptverdächtige in den beiden Kriminalfällen der ›Deutschmeister-Leichen‹ aussah. Ein gefundenes Fressen für die Presse. Als die Moravec heute früh morgens an einem Zeitungskiosk vorbeigegangen war, sah sie ihr Gesicht auf mehreren Titelblättern von illustrierten Zeitungen. Eine der dazugehörigen Überschriften lautete: ›Die Mörderin der Edelknaben?‹ Sie war schockiert. Mit gebeugtem Kopf eilte sie in die Pension zurück und verschanzte sich in ihrem Zimmer. Doch ihr wurde sehr schnell klar, dass sie hier nicht bleiben konnte. Wenn der fette, ungepflegte Kerl, der diese Pension gemeinsam mit seiner alten Mutter betrieb, die heutige Zeitung lesen würde, war sie verraten und verkauft. Sie sprang auf, packte ihre Sachen in den Koffer, verschleierte ihr Gesicht, setzte einen Hut auf und stieg hektisch die Treppen zur Rezeption hinunter. Gott sei Dank waren weder der Besitzer noch seine Mutter anwesend. Leise legte sie den Schlüssel auf das Empfangspult – die Miete hatte sie sowieso im Voraus zahlen müssen – und schlich aus dem Haus. Draußen atmete sie tief durch und ging Richtung Praterstraße. Plötzlich erschrak sie: Vis-à-vis ging der Pensionsbesitzer. Sein Kopf steckte in einer Zeitung, die er förmlich zu verschlingen schien. Er war völlig vertieft und sah weder nach rechts noch nach links. Was so interessant war, konnte sich die Moravec denken. »Das war knapp …«, murmelte sie und beschloss, in einer anderen Gegend Wiens Unterschlupf zu finden. Sie fuhr, mehrmals umsteigend, mit der Tramway hinaus nach Ottakring, wo sie sich in einem Fuhrwerkergasthof, in dem auch Zimmer vermietet wurden, einquartierte. Dort legte sie sich – nachdem sie Hut, Schleier und Mantel abgelegt hatte – zitternd auf’s Bett und dachte nach. Ihr fiel ein, dass ihr vor vielen, vielen Jahren ein herumstreunender Hund ins Gesicht gebissen hatte. Im Ratzenstadl, als sie noch ein Kind war … Die Bisswunde war damals so stark angeschwollen, dass sich ihre eine Gesichtshälfte fast verdoppelt hatte. Das rechte Auge war infolge dieser Geschwulst komplett geschlossen gewesen. Nach über zwei Wochen ging die Geschwulst schließlich zurück. Trotzdem war sie für Monate entstellt und Freunde, die sie längere Zeit nicht gesehen hatten, erkannten sie nicht wieder. Und der Gumpendorfer Pfarrer meinte, sie sähe aus wie Quasimodo. Wie der hässliche Glöckner von Notre-Dame …
     
    Schließlich verließ sie – vermummt mit Hut und Schleier – nochmals ihr Zimmer. Bei einem Eisenwarenhändler erstand sie ein Rasiermesser. Zurück auf ihrem Zimmer, saß sie lange Zeit regungslos da. Sie stierte in einen kleinen Spiegel, der vor ihr am Tisch stand. Daneben lag das funkelnagelneue Rasiermesser. Ihre Hände zitterten vor Angst. Der zerstückelte Vestenbrugg … Da drohte ihr der Galgen. Obwohl … Angst! Panische Angst! Außerdem war ihr die Vorstellung, mit zwei, drei anderen Weibern in eine enge Zelle gesperrt zu werden, unerträglich. Voll Ekel und Abscheu malte sie sich die Körperausdünstungen und den üblen Atem ihrer Zellengenossinnen aus. Sie spürte förmlich deren widerliche, körperliche Nähe. Ihr Magen rebellierte. Sie sprang auf, stürzte zur Waschschüssel und übergab sich. Der säuerliche Geruch des Erbrochenen kroch durch das enge Zimmer. Tränen rannen über ihr Gesicht. Sie wankte zum Tisch. Setzte sich. Griff mit zitternder Hand zum Rasiermesser. Klappte es auf. Säuerlich, bitterer Geschmack im Mund. Brennendes, schmerzhaftes Ziehen im Magen. Im Spiegel ihr tränennasses Gesicht. Ihr Gesicht. Ihr verdammtes, stadtbekanntes Gesicht. »Scheiße! Verdammte Scheiße!«, schrie sie. Der Spiegel flog vom Tisch. Zerschellte am Boden. Klirren. Klirrendes Echo in ihrem Schädel. Blitzende Messerklinge. Schnitt. Schnitt. Schnitt.
     
    Das warme, weiche Fleisch ihrer rechten Gesichtshälfte war von der Klinge zerfetzt worden. Blut. Überall Blut. Es brannte höllisch. Und mit jeder Handbewegung wurde der Schmerz intensiver. Denn ihre Hand, die sie bewusst nicht gewaschen hatte, rieb an den klaffenden Wunden, in denen sich ein roter Matsch bildete. Mechanisch rieb sie immer intensiver. Rasender Schmerz. Viel mehr als nur Brennen. Wie wenn Säure das Gesicht auffressen würde. Ihr wurde schwarz vor Augen. Sie wankte zum Bett und ließ sich fallen. Plötzlich das Gefühl der Erlösung. Im Fegefeuer der Schmerzen entspannte sie sich und die Angst wich.
     
    Als
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