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Reigen des Todes

Reigen des Todes

Titel: Reigen des Todes
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Routine gefangen, dass er Goldblatts schmächtige Gestalt fast übersehen hätte. »Herr Redakteur! Herr Redakteur Goldblatt! Sie, Herr …«
    Goldblatt schreckte aus seinen Gedanken, drehte sich um und schreckte sich gleich noch einmal.
    Schöberl, ein großer kräftiger Kerl, machte einen demütigen Buckel und sprudelte los: »Wenn sich der Herr Redakteur vielleicht noch an mich erinnern? Damals bei den Morden am Naschmarkt 2 ? Da war ich einer der schuldlos Verdächtigen … Anastasius Schöberl … Fleischergeselle.«
    Ein Erkennen leuchtete in Goldblatts Augen auf und er murmelte: »Herrgott, ja.«
    »Gnädiger Herr Redakteur, lang ist’s her, dass ich eine bürgerliche Existenz gehabt hab. Jetzt bin ich ein Obdachloser und wohn unten bei der Stefaniebrücke in einem Seitenschacht des Sammelkanals. Und dort, dort hab ich heute Morgen was gefunden. Etwas, das Sie sich unbedingt anschauen müssen. Bitte …«
    Er hielt Goldblatt das Fetzenbündel hin. Dieser runzelte zuerst die Augenbrauen, nahm aber dann Schöberl in die Redaktion mit. Gemeinsam gingen sie an dem rotgesichtigen Portier vorbei, der Goldblatt unterwürfig grüßte und dessen Begleiter mit unverhohlener Verachtung musterte. Als Ressortleiter des Chronikteils verfügte Goldblatt über ein eigenes Zimmer. Er schob seinem Gast einen Sessel hin und nahm selbst hinter dem Schreibtisch Platz. Vorsichtig legte Schöberl das Lumpenpaket vor Goldblatt hin und enthüllte – nach einer kurzen theatralischen Pause – zuerst den steifen, bläulichen Finger und danach den von rostbraunen Blutflecken bedeckten Unterarm. Goldblatt wurde schneeweiß im Gesicht, Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. »Schöberl, zum Kuckuck! Was ist das?«
    »Das ist eine menschliche Hand, die ich heute Morgen am Ufer des Donaukanals gefunden hab.«
    Damit begann er Goldblatt eine unglaubliche Geschichte von Kannibalen zu erzählen. Obdachlose, die zu Tausenden in den Kanälen Wiens hausten und die aus Hunger Leute überfielen, schlachteten und aufaßen. Goldblatt, der mittlerweile seine Contenance wiedergefunden hatte, begann sich Notizen zu machen, stellte Zwischenfragen und sah vor seinem geistigen Auge einen sensationellen Aufhänger in der morgigen Ausgabe des Blattes, für das er schrieb.
     
    Als Schöberl schließlich Goldblatts Büro verließ, hatte er von diesem nicht nur zwei Kronen bekommen, sondern auch den Auftrag, weiterzurecherchieren. In zwei Tagen wollten sie sich in der Suppen- und Teeanstalt am Tiefen Graben treffen.

V.
    Infolge eines irrwitzig schnell voranschreitenden Verwesungsprozesses begann der massige Männerkörper in der blauen Deutschmeisteruniform stark aufzuquellen. Die Nähte der immer praller gefüllten Uniform ächzten, die Uniformknöpfe wurden abgesprengt und schossen wie Schrapnelle durch das immer enger werdende Zimmer. Je gewaltiger die Verwesungsgase den Körper des Toten aufblähten, desto mehr zog sich in einer synchronen Bewegung das Zimmer rund um Steffi Moravec zusammen. Als alle Knöpfe abgerissen und alle Nähte geplatzt waren, begann der nur mehr mit einigen Fetzen Unterwäsche bedeckte Leichnam zu schweben. Die Gasentwicklung innerhalb des toten Körpers war so gewaltig, dass dieser donnernde Flatulenzen von sich gab, deren Rückstoß den nun kuhgroß im Zimmer schwebenden Vestenbrugg durch den Raum fliegen ließ. Als schließlich des Oberstleutnants Korpus, von einer monströsen Flatulenz angetrieben, mit dem Schädel voran – seine hervortretenden Augen hatten die Größe von Billardkugeln – auf Steffi Moravec zusteuerte, wachte sie mit einem Schreckensschrei auf und schlug um sich. Dabei traf sie den neben ihr schlafenden Popovic voll ins Gesicht.
    »Bist narrisch?«, brummte der verschlafen und drehte sich um.
     
    Steffi Moravec war nun hellwach und verspürte zweierlei: Grauen und Ekel. Ersteres ergriff sie aufgrund des Ablebens von Oberstleutnant Vestenbrugg, der nicht nur ihr Geliebter, sondern auch ihr Gönner gewesen war. Es graute ihr davor, plötzlich finanziell völlig auf sich alleine gestellt zu sein. Der Ekel bezog sich auf ihren Bettgefährten. Wie hatte sie nur diesem Lausbuben in Leutnantsuniform erlauben können, wiederholte Male mit ihr zu schlafen und auch des Öfteren bei ihr zu übernachten? War das die Angst, alleine in der Wohnung zu sein, in der Vestenbrugg zu Tode gekommen war? Oder war es Dankbarkeit, weil der Hansi, nachdem sie ihm das Brieferl zukommen hatte lassen, sofort bei ihr
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