Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reigen des Todes

Reigen des Todes

Titel: Reigen des Todes
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
Musterbeispiel an Pünktlichkeit. Es musste ihm etwas Schwerwiegendes passiert sein; hoffentlich hatte ihn nicht der Schlag getroffen … Und als er so hinaussah, registrierte er eine junge, attraktive Frau, die ihm irgendwie bekannt vorkam. Just in diesem Moment wurde die Suppe serviert. In einer kräftigen Bouillon schwammen zwei flaumige Nockerln, die aus in Milch eingeweichten Semmeln, Eiern, Schmalz und Mehl gemacht wurden. Während er die Suppe löffelte, weilten seine Gedanken bei der jungen Frau, der auffallenden Brünetten, die vorher draußen vorbeigegangen war. Wo war sie ihm vorgestellt worden? Ärgerlich, dass es ihm nicht einfiel! Mit zunehmenden Jahren baute sein früher hervorragend arbeitendes Gedächtnis langsam, aber kontinuierlich ab. Als das Epigramm vom Lamm serviert wurde, ärgerte er sich neuerlich. Diesmal über Vestenbrugg, der noch immer nicht erschienen war. Wo zum Teufel mochte er stecken? Und als er sich so richtig giftete, kam ihm plötzlich die Erleuchtung. Die junge Dame war Vestenbruggs ›süßes Mädel‹! Wobei sich der Oberstleutnant immer gegen diese etwas despektierliche Bezeichnung gewehrt hatte. Er bestand darauf, dass Steffi Moravec – jetzt hatte Collredis Gedächtnis auch den Namen gefunden – seine Verlobte sei. Wenn ihm das eine Viertelstunde früher eingefallen wäre, hätte er den Kellner hinausgeschickt und die junge Dame zu sich hereingebeten. Vielleicht hätte sie gewusst, was Vestenbrugg abhielt, zum gemeinsamen Mittagessen zu erscheinen? Missmutig über diese verpasste Gelegenheit, lehnte der Graf jegliches Dessert ab. Er zahlte, verließ das Schwarze Kameel und suchte, da er Lust auf einen Kaffee hatte, das Café Pucher auf. Ein Kaffeehaus, das sich unmittelbar neben der Hofburg befand und sich bei Adeligen und hohen Regierungsbeamten großer Beliebtheit erfreute. Genau in dem Moment, in dem er das Café betreten wollte, sah er im Menschengedränge die üppige Gestalt der Moravec. Einem spontanen Impuls folgend, überquerte er den Kohlmarkt, wobei ihn fast eine der Hofkutschen angefahren hätte.
    »Küss die Hand, Fräulein Moravec.«
    Die Angesprochene drehte sich um und stammelte nach einer Schrecksekunde, als sie Collredi erkannte: »Grüß Gott, Exzellenz …«
    Die Unsicherheit in ihrer Reaktion faszinierte Collredi und gab ihm ein Gefühl der Überlegenheit. Er lud sie in die k.u.k. Hofzuckerbäckerei Demel ein, die ebenfalls nur wenige Schritte entfernt war. Bei Kaffee und Kuchen – der Graf aß eine leichte Kardinalschnitte, während die Moravec eine üppige Malakofftorte verzehrte – fragte er sie nach dem Befinden seines Freundes Vestenbrugg. Als sie ihm antwortete, dass dieser wohlauf sei, konfrontierte er sie mit der Tatsache, dass der Oberstleutnant heute nicht zum gemeinsamen Mittagessen erschienen wäre. Steffi Moravec nahm diese Nachricht sehr kühl auf; irgendwie schien ein Panzer aus Eis die junge Frau zu umhüllen. Und je mehr sich Collredi bemühte, seinen Charme zu versprühen, desto eisiger wurde sie. Ein harter Zug formte sich um ihren Mund, und dem Markgrafen wurde klar, dass ihm da keineswegs ein naives Kind gegenübersaß. Ihre Kälte erregte ihn und er stellte sich vor, wie die Moravec ihn mit einer Rute bestrafen würde. Ein warmes Gefühl überkam ihn und er erinnerte sich an seine Kindheit, als die Musiklehrerin ihn des Öfteren gezüchtigt hatte. Und statt dass der Bub damals die ihm aufgegebenen Klavierstücke einstudiert hätte, lag er auf der faulen Haut und fieberte mit einem prickelnden Gefühl der Erregung der nächsten Klavierstunde samt den unvermeidlichen Schlägen entgegen. Ein leises, aber bestimmtes »Exzellenz!« riss ihn aus seinem Tagtraum. Die Moravec wollte gehen. Er rief die Kellnerin, zahlte und begleitete sie hinaus auf die Straße. Dort konnte er nicht umhin, ihr zum Abschied die Hand zu küssen. Das Erstaunen der Moravec ob dieser galanten Geste nutzte er, um ihre Wohnungsadresse zu erfahren.
    »Gnädiges Fräulein haben mich verzaubert. Würde mich freuen, wenn ich Sie bald wieder auf ein Stückerl Torte einladen dürfte. Küss die Hand und à bientôt.« Mit einer Verbeugung verabschiedete er sich und eilte beschwingten Schrittes davon. Wobei er sich sehr beherrschen musste, um nicht zwischen den Schritten kleine Luftsprünge zu vollführen.

VII.
    »Ich bin auch ein Mensch! Einer, dem draußen auf der Straße die Kälte die Knochen bricht und dem der Hunger den Magen zerreißt. Ich bin auch ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher