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Reifezeit

Reifezeit

Titel: Reifezeit
Autoren: Sophie Fontanel
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Baumwollpikee, Bombasin (du weißt schon, dieser fein geriffelte, damastartige Stoff) und Chintz.« Selbstverständlich ist dort außerdem vermerkt, dass ich mich bei der Wahl der Farben vor allem an die Gelbtöne halten solle, insbesondere an Dotterblumen-, Vanille- und Strohgelb. Gefolgt von der Liste der Farben, die außer Gelb noch in Frage kommen: Blassgrün, Hellorange, Apricot, Absinthgrün, Pastellblau, Vergissmeinnichtblau, Türkis, Zinnoberrot, Graugrün, Opalgrün und Lindgrün. Im Postskriptum zudem der explizite Hinweis: »Wenn du irgendwelche Dinge für dich findest, kauf sie gleich doppelt.«
    Als ich zu ihr aufblicke, ertappe ich sie bei einem Lächeln, das in dem Augenblick schelmisch und zugleich von blindem Vertrauen erfüllt ist. Meine Mutter wird vielleicht entschwinden. Und ihre Bitten werden in die Ewigkeit mit eingehen.

S ie ist beunruhigt: »Wo ist deine Gereiztheit ge blieben?« Und wir lachen schallend los. Ich war genervt von der Welt, und schuld war sie. Ich hielt mich in puncto Männer zurück, und schuld war sie. Die Macht, die ich anderen über mich einräumte, wieder sie. Das, worüber ich stolperte, sie. Egal, was mir im Weg war, dahinter stand immer sie. Das geht uns vielleicht allen so. Es ist verrückt, wie sehr ich mich echauffiert habe. Das Verhalten meiner Freunde war für meinen Geschmack nie heldenmütig genug. Diejenigen, die sich körperlich hingaben, warfen sich in meinen ­Augen leichtfertig weg. Für diejenigen, die sich komplett aufsparten, empfand ich genauso heftige Verachtung. Ich er brach mich stellvertretend für diejenigen, die sich betran ken, aus Verachtung dafür, dass sie sich mit so erbärmlichem ­Fusel betäubten. Meine Freunde fürchteten mein scharfes Urteil. Und wenn sie einen Blick auf meine weichen Seiten erhaschten, ließen sie mich teuer dafür bezahlen. Sie mussten sich schließlich ihrer Haut wehren. Ich konnte verletzend sein. Ich war wütend, und schuld war sie.
    Als ich noch jünger war (meine Güte, wie unverständig man doch manchmal ist), dachte ich, ihr Tod würde mir das Leben erleichtern. Ich täuschte mich, denn es war vielmehr so, dass ihr Altwerden das war, was mich befreite. Mit den Kämpfen ist Schluss. Ich entsinne mich noch, dass sie, wieder einmal, wie sollte es anders sein, in einer dieser Reha­kliniken lag und das Unmögliche begehrt hatte. Eine endlose Liste. Ich hatte ihr wirklich sämtliche gewünschten Sachen gebracht. Ich breitete sie auf ihrem Bett aus, doch sie würdigte sie kaum eines Blickes, denn an jenem Tag war ich der Gegenstand ihres Interesses. Aus der einen Tasche hatte ich meine Wunder zum Vorschein befördert. Dann, aus einer anderen Tasche, die gewaschene Kleidung, die ich auf einen Bügel hängte. Außerdem die Magazine, die sie am liebsten las: die italienische Vogue, die englische Elle. Ich stellte fünf Flaschen Rotwein aufs Fensterbrett, direkt an die Scheibe, damit sie kühl standen (es war Winter). Zu guter Letzt überflog ich die Liste noch einmal im Geiste, um mich zu vergewissern, dass ich auch nichts vergessen hatte, und genau in dem Moment servierte sie mir in einem Ton, in dem kein Fünkchen Ironie durchblitzte, keinerlei Herablassung, keinerlei Machtgehabe, keinerlei Grausamkeit, die folgende Bemerkung: »Ich könnte dich bitten, dich zum Fenster hinauszustürzen, und du würdest es tun.«
    Man weiß ja, wie das läuft. Manchmal ist da nicht eine Spur Ironie, Herablassung, Machtgehabe oder Grausamkeit, und doch begehrt man innerlich auf und neigt spontan dazu, alles falsch zu verstehen. Das steckt einfach in uns drin, das ist das innere Kind in uns. Doch ich weiß nicht, warum, ich war in dem Augenblick stark genug, um zu verstehen, dass sie mich nicht angreifen wollte, sondern versuchte, mir ­etwas anderes, Konstruktives mitzuteilen, etwas, was ich innerlich nie hatte zulassen wollen. Und ich erwiderte: »Klar würde ich das tun. Wenn du mich darum bätest – denn das hieße doch wohl, dass wir uns im Erdgeschoss befinden …«
    Sie würdigte meine reife Reaktion mit ihrem göttlichen Lächeln. Und ich sah – das schwöre ich – den Frieden auf mich herabkommen, spürte zum ersten Mal diese wärmende Hand, die mir Zutrauen spendete. Der Krieg, den ich gegen die anderen geführt hatte, war vorüber. Mein hartnäckiges Flehen hatte sich endlich erübrigt.

S ie sitzt ihren beiden Enkeln gegenüber, fährt sich mit der Zunge über die Lippen. Neugierig und gespannt, denn es sind zwei
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