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Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Titel: Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)
Autoren: Emil Hakl
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Anschließend übernahm mich einer mit Kamera, Typ müder Rocker auf Lebenszeit, und brüllte mich an: „Richtig dämlich bist’e, richtig dä-hämlich! Dämlich bist du, total! Also guck auch so! Schwejk! Ein dämliches Lächeln! Noch dämlicher, genau so! Und wie du die Krücken hältst, halt sie normal! Der Daumen! So macht man doch wohl, wenn man was in der Hand hält, oder?“ Er wollte, dass ich die Opponierbarkeit meines Daumens nicht nutzte, dieses grundlegende Merkmal der Primaten. Woraufhin sie mich in einen mährischen Weinbauern verwandelten. „Holla-di-oh! Noch mehr, Holla-di-oh! Und feste auf die Schenkel klatschen! Huj-huj-huj!“ Dann in Franz Josef, den Monarchen. „Zieh den Wanst ein, du bist Aristokrat! Du frisst dich nicht voll! Du bist streng! Guck uns finster an! Wir haben Angst vor dir!“ Jede Bewegung wurde von der Kostümbildnerin verfolgt, sie zwickte mich durch die Hose in die Schenkel, wischte Staubkörnchen weg, andauernd raffte sie was zusammen und steckte es fest. Ich spürte den starken Wunsch zu gehen. Bloß, was sollte ich in Prag-Nusle mit einem Backenbart und einem faltigen Latexgesicht? Mit einem Säbel an der Hüfte? Also hielt ich durch. Erst am Abend war alles vorbei. Bis dahin haben wir uns schön besoffen. Der Fotograf trank direkt aus der Flasche, mir goss die Requisiteurin, ohne zu fragen, Jack Daniel’s in eine angebissene Tasse mit einem Strohhalm drin. Den steckte sie mir unterm Bart in den Mund. Sie hatten Übung damit. Ich saugte den Inhalt auf, als wäre es Nektar und ich ein Schwärmer. Die Requisiteurin goss teilnahmslos nach.
    Murgy lachte, wie wenn man Glas schleift. Irgendwie abrasiv. Alles klar, kennen wir schon, diese flotte Fliegerstaffel. Was jemand mit dem Zeug intus redet, muss man nicht so ernst nehmen. Unten klappte der Kiefer auf und zu und darüber rotierte ein Ballon seliger Stille. Als er also damit anfing, dass er Paragliding-Fan ist und früher sogar mal Fluglehrer war, da nickte ich in aller Seelenruhe.
    8 „HALT DICH IN DER STRÖMUNG“, BEFIEHLT MIR DAS SPRECHGERÄT.
    „Und wie finde ich die Strömung?“, frage ich.
    „Du bist dri-hin! Sei dri-hin!“
    Überall Unmengen ausschwärmender Kreaturen, kleine, größere, schnelle, langsame, kreisende, zappelnde, gefiederte und kahle. Wolken aus Mücken und Libellen, Flaum und Fliegen, Hornissen, Schmetterlingen, stoffbespannten Sportfliegern, bunt bemalten Verkehrsmaschinen und, weit oben, brutal geformte Monster auf Patrouille mit taktischen Waffen. Unterhalb davon Massen kreisender Fallschirme und Gleitschirme und sonstiger Flatterteile mit menschlichen Egos im Anhang.
    Als Individuum macht man sich hier oben besser klar, wie weit seine Möglichkeiten auf allen Achsen überschritten sind. Die erste Geige spielt wie immer das Selbstmitleid. Gerührt zu sein vom Wissen um die eigene Winzigkeit. Wie soll man auf diese eigene Winzigkeit nicht stolz sein? Wie soll man sich nicht ein bisschen damit brüsten? Wie soll man sich nicht an der blechernen Stimme der Medien berauschen, nicht im Chor mit ihnen herumbrüllen, die Gegenwart sei für uns absolut unannehmbar und wir wollen sie ummodeln? Hier irgendwo liegen die Wurzeln aller Hoffnung, aller Liebe, allen Glaubens und der Regimes, die mit den dreien unter einer Decke stecken, ihrer Methoden und Tricks, aller Sodoms und Gomorrhas, aller möglichen Ismen. Wie das dann heißt, was konkret mit uns geschieht, wissen wir nicht. Über Bezeichnungen denken die Kreativen erst am Tag darauf nach. Das Ziel aber bleibt immer dasselbe – den Menschen zu perfektionieren. Ihn auszubessern, fertigzustellen. Zu komplettieren. Ihm ein drittes Auge einzusetzen. Bis jetzt hat das niemand überlebt. Aber irgendwas wird schon dran sein. Was man alles schnattert, um es anderen rechtzumachen, was man heult, bettelt. Und die Zuhörer lachen, andere werden aus unbekannten Gründen vom Hass regelrecht gebeutelt. Keiner kann sich sicher sein, ob er nicht bloß noch den bumsordinären Spaßmacher gibt. Dazu Bewusstseinsblitze, was will man mehr. Schließ dich an, gib dich hin. Wehr dich nicht. Bässe und Höhen. Geh höher.
    Ich fliege.
    Hui. Ich passiere mit Plastikplanen geflickte Dächer. Schräg fliege ich über einen Kuhstall weg. Mähdrescher-Wracks, so eine Sauwirtschaft. Auf mich schiebt sich ein langgestreckter Hang zu, dort geschickt hinkrachen, vielleicht würde ich sogar überleben. Ich bin aber viel zu hoch. Keine Ahnung, wie ich runterkommen soll.
    Dazu
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