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Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Titel: Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)
Autoren: Emil Hakl
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Ärmel überzuwechseln. Ich nehme sie mit dem Finger auf und schnippe sie nach unten. Sie fällt in die Sträucher am Fuß eines mittelhohen Hügels.
    „Nicht zie-hen“, fordert mich die Stimme auf. „Halt fest, Junge! Immer mit der Ruhe!“
    14 WO IST HAFINA? Meine Freundin aus der Grundschule, die mich aus heiterem Himmel nach einem halben Jahr aus Prag besuchen gekommen war? Die den Freitag, den Sonnabend und einen Teil des Sonntags im Café am Marktplatz verbrachte und einen Tee nach dem anderen trank, bis ich Ausgang bekam? Um mich dann auf der Stelle im Gebüsch hinter der Kaserne zu Boden zu werfen und mir die Jungfräulichkeit zu rauben? Weil sie meine Briefe nicht mehr ertrug, in denen ich mich damit brüstete, mit wie vielen Frauen ich schon was gehabt hatte? Die es sich zur Gewohnheit machte, mich an den Wochenenden besuchen zu kommen, damit wir im Hotel neben der Kirche immer wieder ein anderes Zimmer verwüsten konnten? Jedes Mal haben wir die Bude auseinandergenommen und vollgeblutet. Keine Ahnung, wo und warum wir dauernd geblutet haben.
    Wo ist Hafina, das lang ersehnte Wunschkind eines älteren Ehepaares? Schamanin und Hexe, Einzelkind? Geschmeidige Lippen, unnachgiebige Augen und ein hartnäckiges Ego? Die sommers wie winters Stoffturnschuhe und Tiroler Lederhosen trug? Es war nicht leicht, mit ihr auszukommen. Alles ging nach ihrem Kopf. Wir spielten gern mit dem Feuer, hackten aufeinander ein, suchten nach empfindlichen Stellen. Sie mit weit größerer Präzision. Das gefiel mir ja gerade. Ihr vielleicht auch. Sie hatte es nicht leicht mit mir, aber schließlich brachte sie mir bei, wie man einen Schrei aus seinem Körper befreit. Ich gebe nichts auf das Gerede über Chakren, aber von ihrem Becken ging geradewegs eine glühende Hitze aus. Eine Macht, die mein Hirn steuern konnte.
    Ich wäre an meiner neuen Entdeckung fast erstickt. Alles schien mir dadurch einen Sinn zu bekommen. Dafür also machen die sich alle fertig, erniedrigen sich, schmeißen Hab und Gut zum Fenster raus. Mord und Totschlag, der Verlust jeglicher Urteilskraft. Ja, dafür lohnt es sich! Feuer, ziehe mit mir!
    Mit dem näher rückenden Ende des Wehrdienstes lernte ich, über den Zaun zu ihr hinauszuklettern, in Zivilkleidung, die ich heimlich auf dem Boden meines Blechspinds aufbewahrte, was in grobem Widerspruch zu den Regularien stand. Wir schlenderten an der Eger entlang, sahen zu, wie sie sich dahinwälzte. Wie unterm Wehr schwarze Äste rotierten.
    „Was ist, wenn ich nicht der bin, für den du mich hältst?“, beschloss ich sie eines Tages im schummrigen Kunstlederabteil einer Weinstube unterhalb der Festungsanlagen zu fragen. Ich war etwas spät dran, andere hatten in meinem Alter Kinder.
    „Weiß nicht“, antwortete sie, „aber ich bin mir sicher, dass ich nicht die bin, für die
du
mich hältst.“
    Den Rest des Abends saß sie schweigend wie eine Pythia vor ihrem Riesling. Sie war es gewohnt, in Trance zu versinken, durch die stummen Höhlen ausgestorbener Geschöpfe zu geistern. Mein Hirn wollte vor Unsicherheit schier zerspringen. In ihm keimte eine Reihe der bizarrsten Verdächtigungen. Als wir die zweite Flasche niedergemacht hatten, kam sie zu sich, richtete ihre Pupillen auf mich und sagte verblüfft: „Junge, du hast mich echt gern, tu das nicht.“
    Und dann Abmarsch ins Hotel. Entgegen meiner Absicht schlief ich dort ein paar Stunden später ein. Es dämmerte bereits, als ich Hafina ein Küsschen unters Ohr klebte, und dann rannte ich durch die Gassen, Benedikt-von-Laun-Gasse, Prager Straße, Namenloses Gässchen, und hetzte schön unten und hinten herum an der Zuckerfabrik vorbei auf die Gebäude der Staatsmacht zu. Meine liebe speckige Jeans blitzte unter mir immer nur auf. Als ich die Kreuzung unterhalb der Kaserne überquerte, ging die Straßenbeleuchtung aus. Der nächste Abschnitt war riskant. Ein gerader Blechzaun, die Landstraße. Auf dem Fußweg kam mir Neplech entgegen, der Hauptmann. Fuchsteufelswild, weil sie ihn wegen so einem Schwachsinn aus dem Bett geholt hatten. Das platte Gesicht unter der Mütze voll scharlachroter Flecken. Außer Atem ging ich ihm entgegen. Kein Entkommen. Ganz besonders mich pflegte er oft und gern zu schmoren. Er brüllte mir dann aus nächster Nähe ins Gesicht: „Sie sind nicht nur eine Schande für die ganze Kompanie, Sie sind meine ganz persönliche Schande! Halten Sie die Schnauze und werden Sie nicht frech! Dreißig Mal bis Garage 36 und zurück, im
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