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Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Titel: Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)
Autoren: Emil Hakl
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Most, nach Duchcov, Osek, über die Schwefelkiemen von Litvínov. Bis dorthin, wo das Vorgebirge schwer atmet inmitten gold-weißer Dampfwolken, die aus den Weihrauchfässern der Stromindustrie hervorquellen. Bis über das blinkende, lavendelfarbene,
gute alte Sudetenland
. Über die monströsen Scheißhaufen der Städte.
    Große Augen machen. Dieser Vorliebe habe ich wohl schon viel zu viel Zeit gewidmet. Auf ihrem Altar ist eine ordentliche Zahl meiner Beziehungen verblutet. Viele Male habe ich gehört, wie die Titanic ach so traurig auseinanderbricht, wie sie tutet: „Du bist echt tooll, du hast mir echt viiel gegeben, aber es ging halt nicht, du weißt schon, also ciaao.“
    Zum letzten Mal voriges Jahr im Dezember. Deswegen fresse ich mich jetzt durch meine Bibliothek, deswegen verschlinge ich die Worte anderer. Des wegen streife ich die abgenutzten, nach altem Schweiß müffelnden Masken fremder Geschichten über, damit ich das Knistern in meinem eigenen Verteilerkasten nicht höre. Lieber Chaim Potok als der Gestank nach verschmurgelter Isolierung am Gaumen.
Was wir haben, haben wir nicht eigentlich, denn wir freuen uns nicht darüber. Und was wir nicht haben, haben wir, denn der Wunsch ist bereits das Ziel
, sagt vielleicht Šíma, vielleicht Voskovec, vielleicht Klíma.
    Auf Gegensätzen beruhende Rochaden, was soll das? Sie lasten nur sinnlos den Prozessor aus.
    Warum sich nicht lieber dem Beobachten hingeben. Es genügt, drin zu bleiben. Aus dem Innern der Glaskugel herauszuschauen. Die Show zu verfolgen, die in dem unsteten, sich ausdehnenden Ich abläuft. Im Ich, das sich ausbreitet wie eine Kernexplosion. Eine glühende Apfelsine und ringsherum sich biegende Birken, kullernde Busse.
    Es sind auch noch andere mit mir hier, aber die sind weit weg. Wenn einem ein super Abend gelingt und die Leute sich gut amüsieren, sehe ich, wie von ihnen aus in meine Richtung sich Birken biegen und Busse kullern. In diesem Moment unterliege ich der Illusion, dass ich glücklich bin.
    „Los jetzt, raaus!“
    „Komm ja schon“, sage ich.
    17 MIR BLEIBT AUCH NICHTS ANDERES ÜBRIG. Der Wind hat keine Kraft. Als würde ich in lauwarmem Wasser treiben. Dann zerfetzt mich die Kälte. Ich fliege immer noch. Ich gähne, bis es in meinem Schädel knackt. Dieses Scheiß-Stilnox! Scheiße, beschissene! Ich fliege immer noch. Ich weiß nicht, wo oben und unten ist. Himmel und Erde sehen aus wie zwei mit Dämpfen gesättigte, von Nebel verhüllte hohle Halbkugeln. Zwei Spiegellandschaften. Zu einer davon gehöre ich, bloß, zu welcher? Die Sonne ist jedenfalls direkt vor mir. Ich fliege auf sie zu, will mich orientieren, Luft holen.
    Und von unten nähert sich mir der Sensenmann, von dem ich nichts weiß. Breitbeinige Eisenmasten und Drähte. Ich fliege direkt da rein. Hochspannung. Fehler. Das war dein Leben. Finito. Ich lasse die Bremsleinen los. Im Hirn verspüre ich ein klares Aufblitzen des Daseins, eines verrückten, kribbelnden, tödlich scharfen Daseins.
    Ich fliege über die durchhängenden Bündel aus summenden Stromleitungen hinweg. Ich hatte gedacht, dass ich mittendrin bin, aber die Scheißdinger brummen ein ganzes Stück unter mir. Ich war nicht einmal imstande zu erschrecken. Ich spucke aus. Der Rotz klebt an meiner Brille.
    „Wo bist du, Sep-pel“, wiederholt das Telefon immer wieder.
    Gerne würde ich ihm antworten, aber mir fällt nichts ein.
    18 ES KNISTERT, KNACKT UND ZISCHT. Kein Empfang. Vielleicht hat sich der Akku verabschiedet. Oder die beiden haben aufgegeben. Sie setzen sich ins Auto, fahren davon und zerbrechen sich den Kopf, was sie sich für ein Alibi ausdenken könnten, wo sie doch von so vielen Zeugen gesehen worden sind. Wie sie sich aus der Affäre ziehen können, noch bevor ich hier irgendwo auf den Boden klatsche.
    Was nun? Versuchen, die Strömung zu finden, so hoch wie möglich aufsteigen und in ihr aushalten. Wie lange? Die Inversionsschicht am westlichen Horizont wird langsam gelb und lila. Bald ist es dunkel. Es wird arschkalt. Einen Scheißdreck seh ich dann. Ich erfriere wie ein Schneider, zerschelle an einem Felsen, verheddere mich in Stromleitungen. Amateurflieger in der Eger gefunden. Nachtflugversuch endete tragisch. Paraglider vom Kirchturm in Louny erfasst.
    In meiner Hosentasche unterhalb des Gurts spüre ich den USB-Stick, der voll ist mit Clips, literarischen Versuchen, Daten und Fotos. Vieles von der Art, dass es mir lieber wäre, wenn es nicht dazu dienen würde, mich zu
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