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Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Titel: Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)
Autoren: Emil Hakl
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Desert Shield gebrannt.
    Ich stehe auf und gehe. Es wird schnell dunkel. Ich sehe kaum die Hand vor Augen. Ab und zu stolpere ich über einen Topf, ab und zu über ein Grasbüschel. Irgendwo in der Nähe sirrt eine Hochspannungsleitung. In vollem Marschtempo ramme ich mir etwas Spitzes zwischen die Rippen. Ich kauere da, taste mich ab, nichts läuft aus mir heraus. Der Schmerz klingt langsam ab. Nach längerem Starren sehe ich vor mir einen gusseisernen Zaun mit lanzettförmigen Spitzen. Dahinter kaum erkennbare Umrisse von Kreuzen. Einfache und doppelte, mit und ohne Dach. Ein Friedhof am Strand. Eher ein Friedhöfchen, ein Gruß an verschwundene Schwimmer.
    Durch die Ebene nähert sich eine Herde Rinder. Die Erde dröhnt. Ich höre, wie sie die wütenden Hufe aus dem Schlamm reißen, wie sie asthmatisch die Luft einsaugen, wie sie schnauben. Sie kommen auf mich zugerast.
    34 ICH PRESSE MICH GEGEN DAS GITTER. Mein Schweißgeruch ist kaum von dem meines Vaters zu unterscheiden. Was ich schon seit längerem feststelle. So hat das auch bei ihm gerochen, so weit mein Gedächtnis zurückreicht. Es reicht maximal bis in die Zeit, als ich zwanzig war. Was habe ich damals gemacht? Wie habe ich gelebt? Ich habe andauernd Tagebuch geschrieben, das ist sicher. Im Sommer bin ich zum Schlafen in den Ledebour-Garten gegangen, habe morgens eingestaubte Aprikosen direkt vom Baum gefrühstückt und auf die Kuppel von St. Nikolai geguckt. Dann bin ich über die Karlsbrücke zur Arbeit. Manchmal habe ich auf dem Petřín geschlafen. Was noch. Ein paar Namen, Mařenka Zemenová, Ivan Diringer, Smrček, Fáfa, Kvítek. Eine gewisse Ela Balwínová, mit der ich mir eine schimmlige Wohnung zur Untermiete geteilt habe, in der ich sie mit einem fein gesponnenen Netz frei erfundener Anekdoten einwickeln wollte, dabei hatte ich keine Ahnung, dass Lemba, ein wortkarger Metal-Fan aus Ostrava, regelmäßig ausladenden Schrittes daherkam, sobald ich mich zur Nachtschicht verkrümelt hatte. Ein Schrank, der Besuch ohne Vorwarnung zum Fenster rausgeschmissen hat, wenn er sich unbeliebt gemacht hat. Hochparterre, aber trotzdem.
    Außerdem fällt mir noch ein gewisser Pleticha ein, von der Ausbildung her Philosoph, von Beruf Straßenbahnfahrer. Mit dem bin ich öfters nur so aus sportlichen Gründen Nachtschichten gefahren, gegen das Plexiglas der Fahrerkabine gelehnt. Er hat sich während der Fahrt Brote mit Speck in das Loch in seinem Bart gestopft und sich daran zurückerinnert, wie er, nachdem er von der Uni geflogen war, im Bergwerk geschuftet hat. Wie er mit einem Typen um eine Pistole gerangelt hat, wie sie ihm den Finger abgeschossen hat. Er hat mir die Hand gezeigt, der Mittelfinger hat gefehlt. Ich hab ihm als Gegenleistung von Heidegger erzählt. Beschrieben, wie der Denker immer vor seiner Hütte in den Bergen gesessen und ins Tal geguckt hat, und wie in ihm die Überzeugung herangereift ist, dass er nicht er selbst ist, sondern ein Bestandteil des Begriffs
Es
. Ich habe damals das
I Ging
verschlungen, mich für das Sein in Zeit und Raum interessiert. Der Pleticha hat heftig gefeixt und Krümel geprustet. Wer weiß, warum er einen sechzehnjährigen Idioten mit sich überschlagender Stimme ertragen hat. Vielleicht war für ihn alles besser, als allein zu sein. Ab und zu ließ er mich fahren. Vier Uhr früh, wenn der Wagen leer war, von der Endhaltestelle am Weißen Berg weg. Bílá Hora–Vypich–Drinopol–Malovanka. Eine Straßenbahn fahren ist ein Kinderspiel, man muss nur auf Verzweifelte und Sonderlinge aufpassen. So einer ist regelmäßig eine Stunde vor dem Hellwerden an der Malovanka eingestiegen, hat im Wagen gestanden, Bumbass gespielt, und am Belvedere ist er wieder ausgestiegen.
    35 DAS SCHNAUBEN DER KÜHE VERHALLT IN SULINA. Ich löse mich vom Zaun, versuche an die Richtung von vorhin anzuknüpfen. Grasbüschel, Äste, Löcher, Armierungsdrähte.
    Plötzlich habe ich die träge Brandung unter den Füßen. Schaum, Seetang. Ich bin da. Ich ziehe meine Klamotten aus, lege sie auf den Rucksack. Die Unterhose lasse ich an. Das Wasser ist kalt, der Boden übersät mit glitschigem Zeug. Ich bin bis zu den Schienbeinen im Wasser, bis zu den Knien, bis zum Solar-plexus. Korrekt, absolut korrekt. Ich öffne die Urne und schütte. Ahoi, und sei nicht sauer. Du hattest wenigstens mich, ich habe niemanden außer den zwei wahnsinnigen Stalkerinnen. Wohin mit der Urne? Ich werd sie dann auf den Friedhof bringen, zu den Matrosen. Ich setze
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