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Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Titel: Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)
Autoren: Emil Hakl
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Aufbauten entfernt wurden. Es ragt am Strand auf, von allen Seiten mit Balken abgestützt, rostig und finster. Hinter ihm wälzt sich ein ölig glänzender, regenbogenfarbener Streifen Meer vorbei.
    Ein Onkelchen und ein kleines Pferd, Männer mit Keschern, eine Gruppe schwerer Jungs in Kunstledersakkos, die aufgeregt Rabatz machen, ein einarmiger, Pfeife spielender Knirps wandern durch die Einöde verstreut Richtung Ort.
    In aller Seelenruhe betrachte ich sie. Eine Woche unrasiert, falle ich kein bisschen auf. Da soll mir keiner sagen, dass er nicht selber Schuld ist, wenn er aus heiterem Himmel eine aufs Maul kriegt. Mit ein bisschen Urteilsvermögen ist es ganz leicht, sich zum Trottel zu machen. Man darf den anderen allerdings nichts vorgaukeln. Man muss sich selbst aufrichtig verachten, um den Ansprüchen zu genügen. Was das kleinste Problem ist – es reicht, sich seine eigenen Beweggründe klarzumachen.
    In Prag, in Petřiny haben sich Rentner so was wie einen Spielplatz gebaut, nur statt Klettergerüsten sind da alle möglichen Trainingsgeräte, zum Beispiel zum Rudern
, schreibt meine Bekannte noch.
    Ja
, antworte ich,
das sind positive Entwicklungen, die Leute fangen an sich zu bewegen
.
    Du solltest das auch probieren
, schreibt sie zurück.
    Ich versuch’s
.
    Also krieg deinen Arsch hoch und komm irgendwohin mit auf einen Manhattan mit Kirsche
.
    Ich bin in Rumänien
.
    Die Einsamkeit macht dich kaputt!
    Ich weiß
, antworte ich.
    Eine graugelbe Sonne versinkt im graugelben Wasser. Das Schiffswrack wird dunkel, das Meer glänzt wie Blei.
    Ich lese ihre Antwort:
Binnen zehn Jahren wirst du vor Entsetzen krepieren, weil du das verpasst hast. Es kommt die Zeit, und du bist dankbar für jede zufällige Spam-Mail, weil du vor Einsamkeit 100 x schlimmer durchdrehen wirst als ich jetzt
.
    Dabei hat sie ein Kind und einen Mann, und der passt höchstwahrscheinlich gerade auf das Kind auf.
    Ich schreibe:
Pfeif auf mich. Du hast das Bedürfnis, Menschen abwechselnd zu verschlingen und in die Ecke zu schmeißen, das ist kein Leben. Schlüssel zurück, Geschenke zurück, Schlüssel zurück, Geschenke zurück
.
    Sie antwortet:
Du liegst falsch, wenn du denkst, dass ich nicht weiß, dass ich mich wie ein Idiot benehme. Ich habe auch eine Vorstellung, wie du denkst: Alles in dir lehnt sich dagegen auf, dass dir jemand was diktiert, dich manipuliert, damit du erträgst, was da an Sarkasmus, Schniefen und Betteln auf dich niedergeht … Aber es ist unaufhaltsam. In mir ist etwas in Bewegung geraten, aus Protest, dass du mir so viel versprochen und nichts gehalten hast
.
    Die SMS ist lang, sie schickt die Dinger vom Computer aus. Der Schluss lautet:
Weiter: Falls ich einen schweren Durchhänger hab, kann ich absolut keine Unterstützung von dir erwarten. Maximal kommt von dir ein Haufen Gerede über das Leben. Eine einfache Umarmung, das einzig wirksame Mittel gegen den Schmerz, erkennst du nicht an
.
    Doch, tu ich
.
    Tust du nicht
.
    Ich geb mir Mühe
.
    Eben nicht
, schreibt sie zurück.
Aber du sitzt in der Scheiße, nicht ich – das Schreiben ist für dich nämlich zum Ersatz für lebendige Menschen geworden
.
    33 STIMMT, SAGE ICH MIR, DAS STIMMT. Und nicht nur das, es ist mir auch zum Ersatz für mich selbst geworden. Diesen bis vor kurzem noch recht spontanen, ausdauernd lächelnden Burschen. Sie hat Recht, ich habe Recht, beide haben wir Recht. Bis auf Dostojewski. Einmal habe ich während einer Grippeattacke
Schuld und Sühne
regelrecht verschlungen, der Lümmel ist dem Expressionismus ein halbes Jahrhundert zuvorgekommen. Dieses ganze Gerassle, das Augenaufgereiße, die Unmöglichkeit einer normalen Existenz. Die Schrecken erregende Schönheit der inneren Emigration.
    Bing, es kommt ein Nachtrag:
Außerdem kannst du nur über dich schreiben, und das ist in deinem Fall langweilig
.
    Und was soll ich tun, soll ich mich umbringen?
, schreibe ich.
    Es würde reichen, wenn du aufhörst zu schreiben und mich bei dir übernachten lässt
.
    Der leere Akku nimmt mir die Chance zu antworten.
    Ich befreie die Urne mit Vaters Asche aus dem Rucksack. Sie tut so, als sei sie aus Bronze, ist aber Vollplastik. Mit einem Schweizer Messer kratze ich an ihr herum und heble den Deckel auf, ich nehme ihn ab, dann mache ich die Urne provisorisch wieder zu und stecke sie zurück. Ich fahre durch die Tragriemen. Der Rucksack ist ganz leicht, das Essen verputzt. Das Zelt habe ich Murgy geborgt, der Schlaumeier hat sich ein Loch in sein
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